Der letzte deutsche Gruppengegner gilt bei einigen Experten als Geheimtipp auf den Titel. Schweden besticht mit einer gewachsenen Achse und klaren Strukturen - und einer fast einzigartigen Geheimwaffe.
Nach zwei Siegen aus den ersten beiden Partien steht das deutsche Team bereits im Viertelfinale, das letzte Gruppenspiel könnte Trainer
Weil der Gegner aber Schweden heisst und die Aussicht auf einen vermeintlich leichteren Turnierbaum so gross ist, werden der Bundestrainer und seine Mannschaft die Partie mit dem grösstmöglichen Ernst und Ehrgeiz angehen müssen.
Nur ein Sieg bringt der deutschen Mannschaft Platz eins in der Gruppe C und damit die Gelegenheit, im Viertelfinale wahrscheinlich den bisher bärenstarken Französinnen aus dem Weg zu gehen – und in einem möglichen Halbfinale dann Topfavorit Spanien.
Deutschland würde also in der Endphase des Turniers nur zu gerne auf die "leichtere" Seite wechseln, muss dafür aber unbedingt die Schwedinnen schlagen. Wenn man so will, steht am Samstag im Züricher Letzigrund also das erste K.o.-Spiel an - gegen eine in allen Belangen brandgefährliche Mannschaft: Nicht nur auf dem Papier ist Schweden der bisher stärkste und gefährlichste Gegner der deutschen Mannschaft.
Schweden gehört zum engeren Favoritinnenkreis
Nach überzeugenden Leistungen und Siegen gegen Dänemark (1:0) und Polen (3:0) sind die Schwedinnen längst zum erweiterten Kreis der Favoriten zu zählen, für den einen oder anderen Experten gehören die Tre Kronor sogar zum engen Zirkel der Titelaspiranten.
Die Schwedinnen mögen wohl nicht mehr ganz die Klasse vergangener Tage haben, der Kader von Coach Peter Gerhardsson gibt aber immer noch eine ganze Fülle herausragender Spielerinnen her. Allen voran Routinier Kosovare Asllani: Die Mittelstürmerin steht aktuell bei 49 Toren in mittlerweile 200 Länderspielen und gilt in Schweden als Institution des Fussballs.
Weitere Stützen des Teams sind unter anderem die für den FC Bayern München aktive Linda Sembrant, Sofia Jakobsson (FC Chelsea) oder Stina Blackstenius (FC Arsenal). Blackstenius ist aktuell eine der gefährlichsten Angreiferinnen der Welt.
Mit Disziplin und Härte
Trainer Gerhardsson setzt beim Endturnier bisher wie erwartet auf einen Stamm mit zum Teil sehr erfahrenen Spielerinnen. Gleich neun davon sind über 30 Jahre alt, Linda Sembrant versprüht mit ihren 38 Jahren sogar ein wenig Cristiano-Ronaldo-Flair.
Grundsätzlich kann Gerhardsson auf eine ungewöhnlich gute Kadertiefe zurückgreifen. Alle Positionen sind doppelt besetzt und vor allem im Offensivspiel schwer ausrechenbar für den Gegner. Neben Torjägerin Blackstenius liegt ein besonderes Augenmerk auf Mittelfeldspielerin Filippa Angeldahl, der das goldene Tor im Auftaktspiel gegen Dänemark gelang, und Johanna Rytting Kaneryd, die über den Flügel Dampf macht.
Das eigentliche Prunkstück der Mannschaft ist aber ihr Defensivverhalten. Schweden agiert taktisch besonders diszipliniert und kompakt, baut im tiefen Pressing zwei Riegel in der eigenen Hälfte auf und überlässt dem Gegner gerne auch länger den Ball. Um dann mit einer gewissen Robustheit und Härte gegenzusteuern.
Schwedische Geheimwaffe: die Lufthoheit
Der Fokus liegt im Moment des Ballgewinns auf schnellen Umschaltaktionen in die Tiefe. Steht der Gegner selbst tief, versuchen es die Schwedinnen gerne mit sehr vielen Aktionen auf den Flügeln, um dort zur Grundlinie durchzubrechen - oder eben aus dem Halbfeld zu flanken: In der Luft ist diese Mannschaft die gefährlichste der Welt.
Im turmhoch überlegen geführten Spiel gegen Polen erzielten die Schwedinnen alle drei Treffer per Kopf. Nahezu jeder hohe Ball in den gegnerischen Strafraum ist eine veritable Gefahr, weil sowohl die Strafraumbesetzung als auch das Durchsetzungsvermögen der schwedischen Spielerinnen einzigartig ist.
Diese Stärke - im Übrigen auch im eigenen Strafraum bei Defensiv-Kopfbällen – kann sich bisweilen aber auch zu einem Schwachpunkt entwickeln: Im Zentrum des Spiels fehlt es der Mannschaft an Kreativität, das Ballbesitzspiel genügt nicht immer höchsten Ansprüchen. Also versucht es Schweden verstärkt über die Flügel und mit vielen Flanken. Was schnell eindimensional und berechenbar werden kann, trotz der eigentlichen Vorteile im Luftkampf.
Viele Waffen auf dem Platz - und eine auf der Bank
Und dennoch haben die Schwedinnen genug Waffen, um jeden Gegner der Welt vor grosse Herausforderungen zu stellen. Dazu kommt ein ausgeprägtes Wir-Gefühl, die Mannschaft ist in ihrem Kern seit mehreren Jahren zusammen und für eine Verbandsmannschaft sehr gut eingespielt.
Und dann ist da ja noch der Trainer: Peter Gerhardsson ist jetzt seit 2017 im Amt und damit einer der dienstältesten Trainer des Turniers. Die EM in der Schweiz wird der Schlusspunkt dieser langen Reise mit der Nationalmannschaft sein, Gerhardsson hat danach seinen Rücktritt angekündigt.
Mit dem 65-Jährigen holten die Tre Kronor bei den letzten beiden Weltmeisterschaften jeweils Bronze und bei Olympia in Tokio vor vier Jahren nach einer dramatischen Niederlage im Finale gegen Kanada Silber.
Die Schwedinnen zeichnete nicht nur dabei aus, was man der deutschen Männer-Nationalmannschaft gerne nachsagt: Dass sie eine formidable Turniermannschaft sei. Gerhardsson schafft es immer wieder, die für ein langes Turnier nötige Dynamik innerhalb der Gruppe zu entwickeln und die Leistungen seiner Mannschaften im Turnierverlauf sukzessive zu steigern.
Das Ende des Fluchs?
Die Achse um Torhüterin Jennifer Falk, das Innenverteidiger-Duo Sembrant und Nathalie Björn, Angedahl auf der Sechs, Asslani und Blackstenius davor ist hervorragend eingespielt und im Zentrum des Spiels in allen Phasen mit das Beste, was das EM-Endturnier zu bieten haben dürfte.
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Die EM ist nun ein letztes Hurra der "alten Generation", einige Spielerinnen dürften danach ebenso wie ihr Trainer von der internationalen Bühne abtreten. Und es ist eine letzte Chance für eben diese Generation, den nunmehr 40 Jahre alten Fluch zu beenden: Seit dem Titelgewinn von 1984 rennt Schweden vergeblich einem zweiten grossen Erfolg hinterher.
Oft genug waren es deutsche Nationalmannschaften, die den letzten Schritt verwehrten. Und dennoch ist aus deutscher Sicht Vorsicht geboten: Das letzte Aufeinandertreffen bei einem grossen Turnier ging an die Schwedinnen. Im Viertelfinale der WM 2019 in Frankreich waren die Tre Kronor für die deutsche Mannschaft Endstation. Das ist nun zwar nicht direkt möglich. Ein Remis oder eine Niederlage würden die DFB-Auswahl auf ihrer Mission aber ganz empfindlich stören.