Sven Voss wird bei der anstehenden Frauen-EM wieder als ZDF-Moderator im Einsatz sein. Wir haben mit ihm über die Entwicklungen des Frauenfussballs, die Chancen bei der EM und eine persönliche Shitstorm-Erfahrung gesprochen.
Am 2. Juli beginnt die EM der Frauen in der Schweiz. Für das ZDF wird
Herr Voss, können Sie sich vorstellen, was herauskommt, wenn man bei Google "Sven Voss" und "Frauenfussball" eingibt?
Sven Voss: (lacht) Ja, das kann ich mir tatsächlich denken. Ich beschäftige mich schon sehr lange mit dem Frauenfussball – und war bereits bei der WM in China dabei. Bei der letzten WM in Australien und Neuseeland haben wir die Übertragungen aus Mainz moderiert – und da kam es dann zu einem besonderen Vorfall.
Der Shitstorm von 2023…
Genau. Ich hatte da meinen ersten grossen Shitstorm, und das völlig unerwartet. Ich habe damals einen blöden Spruch über Schiedsrichterin Stephanie Frappart gemacht. Ihre Stimme war sehr hoch und aufgeregt, als sie eine Entscheidung im Stadion erklärt hatte, und ich habe gesagt: "Süsse Stimme". Das war natürlich unüberlegt und falsch, aber dass daraus gleich ein Sexismus-Skandal gemacht wurde, hat mich doch überrascht. Ich wollte niemandem etwas Böses.
Und plötzlich kam der Candystorm
Wie sehr hat Sie das getroffen?
Ich fand es nicht so schlimm, da ich mir nichts vorzuwerfen hatte. Ich selbst bin nicht auf Social Media unterwegs, deshalb habe ich das Ganze auch erst über meinen Kollegen mitbekommen, der mich darauf hingewiesen hat. Dann meldete sich auch die "Sport Bild". Ich habe klargestellt, dass der Spruch unbedacht war, aber überhaupt nichts mit meiner Haltung gegenüber dem Frauenfussball zu tun hat. Und was dann passierte, war fast noch interessanter: Es kippte. Viele sagten: "Jetzt lasst mal die Kirche im Dorf." Und plötzlich gab’s einen sogenannten Candystorm. Leute haben mich verteidigt und gesagt, ich mache das schon so lange, da war keine böse Absicht dabei. Das war spannend zu beobachten.
Hat Sie die Wucht der Reaktionen überrascht?
Ja, total. Ich fand es absurd, wie sich Leute an diesem Satz festgebissen haben. Das ist leider typisch für unsere Zeit. Natürlich war es anfangs seltsam, wenn der eigene Sohn im Auto sitzt und fragt: "Papa, was hast du da gemacht?" Da habe ich es ihm erklärt und gesagt: Ich habe nichts Schlimmes getan, aber andere machen etwas Grosses daraus. Aber was auch dazu gehört: Drei Tage später wird die nächste Sau durchs Dorf getrieben.
Ganz grundsätzlich: Wie hat sich der Job durch soziale Medien und die permanente Aufregungskultur verändert?
Es ist ein sehr besorgniserregender Trend, dass man auf Leute einschlägt und versucht, Schlagzeilen daraus zu generieren. Man piekst in ein Wespen-Nest und schaut einfach mal, wie derjenige reagiert. Was sich verändert hat, ist die ständige Beobachtung. Man steht unter dem Brennglas. Jeder Länderspiel-Vorlauf wird auf die Goldwaage gelegt, jedes Wort im "Aktuellen Sportstudio" wird sofort bewertet. Und das live, während die Sendung noch läuft. Das ist anspruchsvoll geworden.
Wie gehen Sie persönlich mit diesem Druck um?
Meine Strategie ist einfach: Ich mache kein Social Media. Natürlich bekomme ich einiges mit, aber ich halte mich an die Rückmeldungen von Menschen, denen ich vertraue. Wenn ich wissen will, ob etwas gut war oder eben nicht, frage ich mein Team, meine Redaktion, meine Familie. Ich versuche, aus Kritik zu lernen, aber ich muss mich nicht an jeder Diskussion im Netz beteiligen.
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"Manchmal vermisse ich die Direktheit von früher"
Frauenfussball war lange nicht so voller Phrasen wie bei den Männern. Hat sich auch der Umgang mit den Spielerinnen verändert? Denken die inzwischen mehr darüber nach, was sie sagen?
Absolut. Der Frauenfussball hat eine riesige Professionalisierung durchgemacht. Das betrifft nicht nur die Nationalmannschaft, sondern auch die Vereine. Früher war es oft unkompliziert – man traf sich in der Stadt, sprach miteinander, organisierte spontan ein Interview vor dem Spiel. Heute ist der Zugang deutlich strukturierter. Pressesprecher entscheiden, wer spricht, wann gesprochen wird und wie lange. Es gibt Media Days, Interviewslots, Stationen, durch die die Spielerinnen geführt werden – anderthalb Minuten pro Interview. Das ist professionell, ja, aber auch viel standardisierter.
Wie schade finden Sie das?
Natürlich verstehe ich den Wandel. Er ist logisch, wenn man sich die Entwicklung anschaut. Die besten Spielerinnen haben Berater, sie bauen sich eigene Kanäle auf, entwickeln sich zur Marke. Das ist legitim. Aber manchmal vermisse ich die Direktheit von früher – das Persönliche, das "Zwischen-den-Zeilen". Heute ist vieles stärker gefiltert.
Trotz der genannten Entwicklungen: Der ganz grosse Durchbruch des Frauenfussballs lässt noch auf sich warten. Warum?
Weil die Frauen im Vergleich einfach unglaublich viel aufzuholen haben. Die Männer-Bundesliga gibt es seit über 60 Jahren, mit vollen Stadien, gewachsenen Strukturen, einer riesigen medialen Präsenz. Das steckt bei den Frauen leider noch in den Kinderschuhen, auch wenn sich viel getan hat. Aber man muss fair bleiben: Was Männer in sechs Jahrzehnten etabliert haben, können Frauen nicht in 15 Jahren aufholen. Wichtig ist, dass die grossen Klubs sich engagieren, dass Strukturen wachsen, dass mehr Geld reinkommt. Wolfsburg, Bayern, Eintracht Frankfurt, das sind Aushängeschilder. Je mehr Männervereine mitziehen, desto mehr Rückenwind bekommt auch die Nationalmannschaft. Das Potenzial ist da, und der Weg stimmt.
Voss fordert: Die Rahmenbedingungen müssen besser werden
Es gibt viele Initiativen zur Förderung des Frauenfussballs und zur Verbesserung der Strukturen. Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf?
Wir müssen vor allem die Rahmenbedingungen weiter verbessern. Es braucht mehr Investitionen, und zwar in die Liga, in die Klubs, in die Ausbildung. Talente müssen den Eindruck haben: Wenn ich dranbleibe, kann ich ganz nach oben. Denn natürlich stellen sich viele junge Spielerinnen Fragen wie: Was passiert, wenn ich eine Familie gründe? Kann ich Beruf und Privatleben im Profifussball wirklich miteinander vereinbaren? Ich spreche oft mit Spielerinnen, die genau das thematisieren. Deshalb ist es entscheidend, dass die Liga weiter professionalisiert wird: organisatorisch, wirtschaftlich und medial. Die Wahrnehmung muss wachsen. Das ist der Schlüssel.
Sportlich hat das DFB-Team zuletzt schwankende Leistungen gezeigt. Wo steht die Nationalmannschaft aktuell?
Das Wort "Umbruch" fällt häufig und es ist berechtigt.
Wie macht sich Wück als Bundestrainer?
Ich finde, er hat sich erstaunlich schnell in die neue Rolle eingefunden. Und er hat vor allem nicht einfach da weitergemacht, wo Horst Hrubesch aufgehört hat. Er hat einen neuen Ansatz gewählt, eine neue Spielidee eingebracht. Und man sieht bei Spielerinnen wie Jule Brand, dass sie unter ihm aufblühen. Auch Klara Bühl macht den nächsten Schritt, kann sich unter Wück zum Weltstar entwickeln. Lea Schüller hat mit dem Abgang von Popp noch einmal an Verantwortung gewonnen und liefert mit sechs Toren in der EM-Qualifikation.
Und was hat sich spielerisch verändert?
Wück lässt offensiver spielen, setzt auf Kreativität, auf Tore. Aber gerade in der Defensive hat sich gezeigt, dass das noch nicht immer funktioniert. Wenn es gelingt, das Offensivspiel zu bewahren und gleichzeitig defensiv stabiler zu werden, traue ich dem Team viel zu. Aber klar ist auch: Diese Balance zu finden, ist die zentrale Aufgabe.
Voss: Die Gruppe ist eine Herausforderung
Die Gruppenphase bei der EM wird kein Selbstläufer – mit Polen, Dänemark und Schweden warten unangenehme Gegner. Wie schätzen Sie die Konstellation ein?
Das ist definitiv eine Herausforderung. Gegen Polen wird Deutschland das Spiel machen müssen, da geht es um Kreativität und Geduld. Gegen Dänemark und Schweden trifft man auf starke Teams, die selbst den Anspruch haben, offensiv Akzente zu setzen – mit Top-Stürmerinnen, die Spiele entscheiden wollen. Das kommt der deutschen Mannschaft entgegen, weil sie dann selbst Räume bekommt. Das letzte Gruppenspiel gegen Schweden könnte entscheidend sein, da sollte man idealerweise nicht unter Druck stehen. Insgesamt: Kein Spaziergang, aber auch keine unlösbare Aufgabe. Entscheidend wird sein, wie stabil die Mannschaft auftritt und wie gut sie in dieses Turnier hineinfindet. Es ist eine gute Vorbereitung auf die K.o.-Phase.
Die Spielerinnen treten selbstbewusst auf und sprechen offen vom Ziel Titelgewinn. Ist das realistisch – oder sehen Sie aktuell andere Nationen vorn?
Acht EM-Titel sprechen für sich. Ich halte das Halbfinale für absolut realistisch, denn die Mannschaft hat Qualität und das Potenzial, weit zu kommen. Und ich bin überzeugt: Kein Team spielt gern gegen Deutschland. Die Mischung aus Erfahrung, Talent und Selbstvertrauen macht das DFB-Team unangenehm zu bespielen. Ein Erfolg der DFB-Frauen würde auch dem gesamten Frauenfussball in Deutschland noch einmal einen echten Schub geben. Das wäre ein starkes Signal.
Über den Gesprächspartner
- Sven Voss ist beim ZDF unter anderem Moderator beim Frauenfussball und vom "Aktuellen Sportstudio" sowie Presenter von True-Crime-Formaten.