Almuth Schult wird die Frauen-EM als ARD-Expertin begleiten. Wir haben mit der 34-Jährigen über Gleichberechtigung im Fussball, ihre Kritik am Umgang mit Müttern, Kritik an ihrer Person und die Aussichten für das DFB-Team gesprochen.

Ein Interview

Anfang Juli kämpfen die DFB-Frauen in der Schweiz um den EM-Titel – Almuth Schult, die ihre aktive Karriere erst kürzlich beendete, wird beim Turnier wieder als Expertin für die ARD im Einsatz sein.

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Vor dem EM-Start haben wir mit der ehemaligen Torhüterin gesprochen, unter anderem über Kritik an ihrer Person, der Ungleichbehandlung im Männer- und Fraussenfussball und die Chancen des deutschen Teams bei der Europameisterschaft.

Frau Schult, Sie bekommen als Expertin in der Regel sehr gute Kritiken. Wie wichtig ist Ihnen das Feedback?

Es ist immer schön, wenn man positives Feedback bekommt. Das ist ja auch ein Stück weit Antrieb für die eigene Arbeit. Aber es geht mir nicht nur um Rückmeldungen von Fans. Wichtig ist mir auch, dass ich mit mir selbst im Reinen bin. Und dass mein engstes Umfeld – Familie und Freunde – meine Art nachvollziehen kann und ebenfalls zufrieden ist. Der dritte zentrale Punkt ist die Rückmeldung meines Auftraggebers, also der ARD. Wenn ich dort das Gefühl habe, die Erwartungen zu erfüllen, ist das für mich am wichtigsten. Wenn es Kritik gibt oder Meinungen umschlagen, ist das die Grundlage, um das auch mal auszuhalten.

Wenn es Kritik gibt, fällt auf, dass sie häufig ins Persönliche oder auf das Geschlecht zielt. Wann, glauben Sie, ist das kein Thema mehr?

Ich denke, das wird noch ein paar Generationen dauern. Vor 75 Jahren war es nicht einmal selbstverständlich, dass Frauen überhaupt im Fernsehen auftraten, geschweige denn im Sport. Auch bis vor 50 oder 60 Jahren war es nicht üblich, dass Frauen mit Fussball oder Leistungssport zu tun hatten. Das hat sich verändert, aber gesellschaftliche Prägungen verschwinden nicht über Nacht. Menschen sind Gewohnheitstiere. Was man in der Kindheit gelernt hat, prägt einen oft ein Leben lang. Je mehr Menschen mit einer selbstverständlichen Rolle der Frau im Sport aufwachsen, desto stärker wird sich auch das Bild wandeln. Aber das dauert.

Wie gehen Sie persönlich mit dieser Art von Kritik um?

Kritik ist grundsätzlich erst mal eine Meinungsäusserung. Für mich ist entscheidend, ob sie begründet und argumentativ unterlegt ist, dann kann ich etwas damit anfangen. Wenn es nur polemisch wird, nehme ich das zur Kenntnis, lasse es aber nicht zu nah an mich heran. In der Regel passiert so etwas schriftlich, in den sozialen Medien. Ich glaube, viele Menschen suchen vielleicht ein Ventil für negative Stimmungen, manchmal auch für ihren Frust. Damit kann ich umgehen. Wertvoll ist für mich Kritik, aus der ich etwas lernen kann, nicht solche, die nur auf Klischees oder Vorurteilen basiert.

"Soziale Netzwerke vergessen nicht – das sollte man immer bedenken."

Almuth Schult

Die sozialen Netzwerke sind heute oft schneller mit einem Urteil als das Spiel mit dem Abpfiff. Haben Sie das im Hinterkopf oder blenden Sie solche Bewertungen aus?

Dadurch, dass ich privat nicht in den sozialen Medien aktiv bin, bekomme ich vieles gar nicht mit, und das hilft mir auch, das auszublenden. Es wird mir schlichtweg nicht direkt vor Augen geführt. Soziale Netzwerke haben zweifellos grosses Potenzial, wenn es darum geht, Inhalte zu verbreiten oder Aufmerksamkeit zu erzeugen. Aber es besteht eben auch die Gefahr, dass man sich selbst zu sehr unter Druck setzt, ständig etwas sagen oder preisgeben zu müssen. Manchmal teilt man Dinge, die man in anderen Kontexten vielleicht für sich behalten hätte. Und: Soziale Netzwerke vergessen nicht – das sollte man immer bedenken.

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Sie arbeiten sowohl im Frauen- als auch im Männerfussball. Erleben Sie dort Unterschiede, etwa in der Vorbereitung oder im Umgang mit den Teams?

In der Vorbereitung gibt es Unterschiede. Ich war im Frauenfussball viele Jahre selbst aktiv und kenne viele der Beteiligten persönlich. Das macht manches einfacher und persönlicher. Im Männerbereich bin ich auf der anderen Seite oft etwas unbefangener unterwegs, was aber auch hilft, Leistungen ganz neutral zu bewerten. Was die Arbeit bei der ARD betrifft, ist der Anspruch bei beiden Turnieren eigentlich gleich hoch. Man merkt jedoch, dass das Budget bei Männerevents grösser ist – das betrifft die Anzahl der Mitarbeiter genauso wie die mediale Präsenz. Die Strukturen rund um die Männerturniere fühlen sich meist eingespielter an. Aber Respekt und Professionalität im Umgang mit Spielerinnen und Spielern erlebe ich auf beiden Seiten. Aber eine Sache war sehr interessant.

Welche?

Das allererste Männer-Turnier, das ich begleitet habe, wurde sehr kritisch im Vorfeld auf meine Person hin beurteilt. Da kamen dann Fragen auf wie: "Was ppassiert, wenn Sie als Expertin scheitern? Haben Sie sich mit dem Gedanken beschäftigt?" Solch eine Frage würde mir niemand bei einem Frauen-Turnier stellen.

Kritik an Umgang mit Müttern

Sie haben sich immer sehr für Gleichberechtigung eingesetzt. Wie wollen Sie das machen, nachdem Sie kürzlich Ihre Karriere beendet haben?

Ich habe mich über all die Jahre schon engagiert, unabhängig davon, bei welchem Verein ich gespielt habe oder ob ich einen Verein hatte. Und das werde ich auch weiterhin tun, auf die Weise, die mir zur Verfügung steht. Mir geht es auch um mehr als nur den Fussball. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Ich wünsche mir, dass meine Tochter mit weniger Vorurteilen aufwachsen kann als ich. Und ich bin gleichzeitig froh, dass es bei mir schon besser war als bei meiner Mutter.

Bei Ihrem Abschied haben Sie insbesondere den Umgang mit Müttern im Profisport kritisiert. Wie wurde das aufgenommen? Gab es viel Feedback?

Übermässig viele Rückmeldungen habe ich gar nicht bekommen, was sicher auch daran liegt, dass ich nicht in den sozialen Netzwerken unterwegs bin. Es gab aber einige, die sich gefreut haben, dass ich das Thema offen angesprochen habe. Andere haben konkret nachgefragt, um Hintergründe besser zu verstehen.

Wäre denn ein Job als Funktionärin eine Option für Sie?

Grundsätzlich schliesse ich nichts aus. Aber so etwas hängt immer von zwei Seiten ab: Zum einen braucht es jemanden, der bereit ist, mit einem zusammenzuarbeiten. Und zum anderen muss ich selbst das Gefühl haben, dass es ein guter, sinnvoller Job wäre. Ich bin aber sehr dankbar, dass ich über die Arbeit bei der ARD schon frühzeitig ein zweites berufliches Standbein aufbauen konnte. Ich habe zudem bereits eine Trainerlizenz und werde in diesem Jahr versuchen, eine weitere Lizenz zu machen. Was danach kommt, wird sich zeigen.

"Entwicklung entsteht dann, wenn sie gewollt wird."

Almuth Schult

Gesetzt den Fall, Sie hätten Einfluss auf Struktur und Entwicklung – wo sehen Sie die grössten Baustellen und wo das unmittelbar abrufbare Potenzial im Frauenfussball?

Entwicklung entsteht dann, wenn sie gewollt und gezielt angestossen wird. Und darin liegt enorm viel Potenzial. Es gibt aktuelle positive Beispiele, etwa Union Berlin, Viktoria Berlin, Borussia Dortmund, den VfB Stuttgart oder auch Eintracht Frankfurt. Man merkt dort, dass etwas entstehen soll, dass Vereine investieren, planen und gezielt Personal aufbauen. Andererseits gibt es auch Klubs, bei denen der Frauenfussball ein reines Beiwerk ist, ohne echten Fokus, ohne Plan, ohne Investitionen. Das wirkt sich unmittelbar auf die Infrastruktur und die Bedingungen für die Spielerinnen aus. Manche Vereine trainieren immer noch auf Kunstrasen. Erst zur kommenden Saison wird es zur Pflicht, dass auch Assistenztrainer hauptamtlich angestellt sind. Bislang galt das nur für Cheftrainer. Das sind Bedingungen, die man nicht mal in der 3. Liga der Männer vorfindet.

Equal Pay ist auch ein wichtiges Thema. Sind die 120.000 Euro für die DFB-Frauen für den Titel ein guter Anfang oder könnte man das Angebot noch ausbauen?

Ehrlich gesagt: Die Summe allein ist nicht entscheidend. Für viele Spielerinnen im Nationalteam entscheidet normalerweise nicht mehr diese Prämie, ob sie Profis sind oder nicht. Was mich aber stört: Es wird häufig nur über Turnierprämien gesprochen – nicht aber über die Gehälter während des Jahres. Da liegt die eigentliche Schieflage. Ich schätze, dass ein durchschnittlicher Bundesligaspieler im Jahr etwa eine Million Euro verdient. Bei den Frauen sind es vielleicht 30.000 bis 40.000 Euro. Diese Diskrepanz wird durch Prämien kaum sichtbar, obwohl sie viel entscheidender ist. Wenn man über Equal Pay redet, sollte man also den grösseren Zusammenhang betrachten, statt nur auf eine Turnierprämie zu schauen.

Glauben Sie, dass es wirklich Fortschritte geben wird, oder bleibt das auch eine Frage für die nächsten Generationen?

Ich glaube leider, dass auch das lange dauern wird. Der Männerfussball hat eine Marktdominanz, die sich nicht einfach aufbrechen lässt. Damit kämpfen ja auch andere Sportarten, und da hängen die Frauenbereiche häufig noch weiter zurück. Aber es gibt nun mal nicht unendlich viel Sendezeit oder mediale Reichweite. Und wo schon alles vom Männerfussball besetzt ist, ist es schwer, Platz zu finden. Es sei denn, es gibt wirklich ein echtes Engagement.

In anderen Ländern gibt es bereits positive Entwicklungen in diese Richtung…

Ja, in Norwegen, Dänemark oder Australien zum Beispiel. In den USA gibt es bei der Nationalmannschaft eine echte Gleichbezahlung, nicht nur prozentual, sondern in absoluten Zahlen. Das ist ein Meilenstein. In den Ligen sind wir aber noch weit davon entfernt. Und vielleicht ist das auch gar nicht das unmittelbare Ziel. Für mich wäre es wichtiger, dass es in allen Top-Nationen professionelle Strukturen gibt, sportlich wie infrastrukturell. Das macht den Fussball nicht nur besser, sondern auch attraktiver für Sponsoren, junge Talente und Fans. Das ist der Weg, den wir weitergehen müssen.

Schult sieht Potenzial für den Titel, aber…

Fraglos wäre auch ein Titelgewinn für den deutschen Frauenfussball enorm wichtig. Wie optimistisch blicken Sie auf die Europameisterschaft? Was fehlt dem Team vielleicht noch?

Grundsätzlich sehe ich das Potenzial für den Titel. In den vergangenen Monaten waren die Ergebnisse zum Teil sehr gut, zum Beispiel in der Nations League. Aber genauso deutlich waren auch die Leistungsschwankungen. Zwischen erster und zweiter Halbzeit lagen mitunter Welten. Besonders in der Defensive hat sich gezeigt, dass es noch an Stabilität fehlt. Bislang konnte man vieles kompensieren, aber in einem Turnier mit K.o.-Spielen können solche Fehler schnell das Aus bedeuten. Deshalb kommt es für mich vor allem darauf an, wie sich das Team in den verbleibenden Nations-League-Spielen präsentiert. Diese Partien sind der echte Gradmesser.

Wie schätzen Sie die Vorrundengruppe ein?

Die deutsche Gruppe ist sicherlich nicht die schwerste im Turnier. Gruppe D mit England, Frankreich und den Niederlanden sehe ich da deutlich höher einzuschätzen. Trotzdem darf man Schweden und Dänemark keinesfalls unterschätzen. Beide Teams gehören aus meiner Sicht zum erweiterten Favoritenkreis. Das bedeutet: Deutschland muss in der Gruppenphase auf den Punkt liefern. Vor allem, weil es nicht reicht, einfach nur durchzukommen – man braucht auch eine gute Ausgangsposition fürs Viertelfinale. Deshalb ist jedes Spiel wichtig, und die Mannschaft darf sich keine Aussetzer erlauben.

Über die Gesprächspartnerin

  • Almuth Schult hat ihre aktive Karriere in diesem Jahr beendet. ARD-Expertin ist sie seit 2020. Sie wurde mit dem DFB-Team unter anderem 2014 Europameisterin und 2016 Olympiasiegerin, dazu auf Vereinsebene Champions-League-Siegerin, sechs Mal Meisterin und acht Mal Pokalsiegerin. 2014 wurde die heute 34-Jährige zudem zur Welttorhüterin gewählt.