Kazuyoshi Miura war schon Fussballprofi, als die meisten heutigen Spieler noch nicht auf der Welt waren. Kürzlich ist der Japaner noch einmal in eine neue Saison gestartet. Und allmählich fragt man sich sogar in Japan: warum?
Als Japans Zweite Liga 2017 in ihre neue Saison startete, konnte das Datum des ersten Spieltags kein Zufall sein: Es war der 26. Februar, ausgerechnet der Geburtstag jenes Mannes, der auf dem Spielfeld einen runden Geburtstag feiern sollte: Kazuyoshi Miura, in Japan bekannt als "King Kazu", spielte für Yokohama FC die ersten 65 Minuten.
Unwissende hätten sich bei seinem Anblick zwar gefragt, warum der Mann mit der Nummer 11 so langsam läuft. Die Erklärung: Er war gerade 50 Jahre alt geworden.
Nach Abpfiff des Saisoneröffnungsspiels – dessen Ergebnis schon bald irrelevant war – räumten alle Spieler schnell den Platz, um dem Star das Stadion zu überlassen. Miura drehte eine Ehrenrunde, liess sich feiern, eher er vom Feld verschwand und kurz darauf in einem pinken Anzug zurückkam und sich von der japanischen Presse mit einer riesigen Fussballtorte beschenken liess. Dann beantwortete der Oldie Fragen: über sein Knie, seine Motivation, seine Routinen. "King Kazu" antwortete gern und ausschweifend.
Aber als ein Reporter (der Autor dieser Zeilen) sich erdreistete zu fragen, ob Miura angesichts seines fortgeschrittenen Alters mal darüber nachgedacht habe, seine Karriere zu beenden, lächelte der König nur milde, antwortete erstmals mit einem einzigen Wort: "Nein."
Dann zog er davon, die Audienz war plötzlich beendet. War die Frage, ob ein damals 50-jähriger, kaum mehr beweglicher Fussballer nicht irgendwann mal genug Profifussball gespielt habe, vielleicht Majestätsbeleidigung?
Der ewige Fussballer
Mit dem heutigen Wissen muss man wohl sagen: Ja, war es. Denn Kazu Miura ist mittlerweile 58 Jahre alt und spielt noch immer Fussball. Zwar reicht es nur noch für die vierte Liga, wo er bei Atletico Suzuka aus der Präfektur Mie unter Vertrag steht – wenn auch als Leihgabe vom heutigen Erstligisten Yokohama FC.
Und glaubt man den Interviews, die Miura Japans Presse bis heute gibt, ist er weiterhin hoch motiviert, will immer wieder oben angreifen. Jedenfalls spielt Miura gerade seine 40. Saison.
Längst hält der Japaner diverse Altersrekorde im Weltfussball: Als er 49-jährig einen Kopfball verwandelte, wurde er zum ältesten Profitorschützen der Geschichte. Auch die längste Profifussballkarriere gehört ihm – wobei man längst darüber streiten kann, ob das, was Miura hier betreibt, noch Profifussball genannt werden kann.
Denn er wird schon lange nur noch an unterklassige Klubs verliehen. Für seinen Kader gönnt sich der Yokohama FC, wo Miura seit 2005 formal unter Vertrag steht, dessen Legendenstatus.
Lebende Legende, Vater des japanischen Profifussballs
Den hat die schon grauhaarige, ewige Nummer 11 nämlich zweifellos. Kazu Miura gilt als nicht weniger als der Vater des japanischen Profifussballs – seiner Risikofreudigkeit sei Dank. Als 15-Jähriger schmiss er in Japan die Schule und ging nach Brasilien, dem Land seiner Idole, für die sich in Japan damals kaum jemand interessierte.
Nach einigen harten Lehrjahren brachte es der Japaner tatsächlich zu einem Profivertrag beim legendären FC Santos, dem Klub von Pélé. In Japan wurde Miura bald zu einem Star.
Anfang der 1990er-Jahre kehrte er zurück in sein Heimatland, wo mit der J-League erstmals eine Profiliga gegründet wurde und Miura als einziger Japaner spielen sollte, der mit den aus Europa und Südamerika eingekauften Stars mithalten konnte.
1993 wurde Miura Asiens Fussballer des Jahres, später spielte er unter anderem in der Serie A für den FC Genua, 1998 führte er sein Land zur ersten WM-Qualifikation. 2005 kehrte Miura zu Yokohama FC nach Japan zurück. Und denkt offenbar nicht ans Aufhören.
Inspiration für spätere Generationen ist dieser "King Kazu" auch für viele Spieler, ohne dass die es unbedingt wüssten: Für das weltweit erfolgreiche Manga und Anime "Captain Tsubasa" (auf Deutsch: Die tollen Fussballstars), in dem die Hauptfigur Tsubasa Ozora alles hinter sich lässt, um in Brasilien Profi zu werden, ist Miura nämlich die Vorlage. Topspieler wie Lionel Messi, Fernando Torres und Lukas Podolski haben angegeben, dass die Geschichte um Tsubasa sie zu ambitionierten Fussballern gemacht hat.
Stilles Warten aufs Ende?
Der echte Miura hingegen ist auch ein Beispiel für gesundes Altern – wie so viele Menschen in Japan, einem Land mit hoher Lebenserwartung, in dem viele Menschen noch in betagtem Alter erstaunlich fit sind.
Nicht wenige von Miuras einst erfolgreichsten Altersgenossen sind nach Übergewicht und Drogenkuren schon verstorben (Diego Maradona), längst Sportinvalide (Marco van Basten), als Trainer mehrmals geschasst (Lothar Matthäus) oder TV-Experten, die wie ein Opa aus einer alten Zeit erzählen (Gary Lineker). Aber "King Kazu"? Der spielt einfach weiter.
Wobei man sich in Japan hinter vorgehaltener Hand allmählich fragt: warum eigentlich noch? Wenn er heute seine sporadischen Kurzeinsätze hat, berichtet die Presse zwar immer noch. Aber im Stadion hat der Jubel für "King Kazu" nachgelassen. Wohl auch deshalb, weil der 58-Jährige schon lange sportlich abfällt. Wie sollte es auch anders sein? Nur dürfte sich im altershierarchisch geprägten Japan kaum jemand trauen, Miura einen Rücktritt nahezulegen.
Empfehlungen der Redaktion
Leise Hoffnungen gibt es, dass er im Jahr 2027 seine Karriere schliesslich beenden könnte. Dann wird er 60 Jahre alt – nach einigen internationalen Definitionen jene Schwelle, ab der man offiziell als "alt" gilt. Vielleicht beginnt die Saison 2027 ja wieder am 26. Februar, Miuras Geburstag, der dann ein Freitag sein wird. So könnte der "König" in Würde abtreten. Und die bräuchte er vielleicht, damit er es auch wirklich tut.