Die deutsche Olympiasiegerin und ehemalige DFB-Kapitänin Dzsenifer Marozsán geht nach Saudi-Arabien. Leistet sie dort Beihilfe zum Sportwashing oder erbringt sie Pionierarbeit für Frauenrechte?
Am vergangenen Wochenenende verkündete die 2022 gegründete Saudi Women's Premier League den prominentesten Zugang ihrer jungen Geschichte. Dzsenifer Marozsán, 112-malige deutsche Nationalspielerin und sechsmalige Champions-League-Siegerin, wechselt in die Wüste. "Ein neuer Star in Rot" jubelte der Al-Qadsiah Women's Football Club in den sozialen Netzwerken.
Dass eine Fussballerin von Marozsans Format nach Saudi-Arabien wechselt, ist ein Novum. Die 33 Jahre alte Spielmacherin, die zuvor neun Jahre beim Branchenprimus Olympique Lyon kickte, ist zudem die erste Deutsche, die den Schritt in den Nahen Osten wagt. Marozsan verdient ihr Geld künftig in einem Land, das viele ihrer Kolleginnen aufgrund der dortigen Menschenrechtslage, insbesondere der Rechte von Frauen, scharf kritisieren.

DFB-Kollegin von Marozsan protestierte wegen Saudi-Sponsor gegen die FIFA
Besonders pikant und anders als im Männerfussball: Viele Stars des Frauenfussballs, darunter viele frühere Teamkolleginnen Marozsans, leben in offen lesbischen Beziehungen. In Saudi-Arabien können homosexuelle Beziehungen offiziell bis heute mit der Todesstrafe geahndet werden.
Erst im Oktober 2024 unterzeichneten mehr als 100 Profi-Fussballerinnen einen offenen Brief an Fifa-Präsident Gianni Infantino, in dem sie gegen die Partnerschaft des Weltverbands mit dem staatlichen Ölkonzern Saudi Aramco protestierten. "Saudi-Arabien gibt Milliarden für Sportsponsoring aus, um von seiner brutalen Menschenrechtsbilanz abzulenken, aber die Behandlung von Frauen spricht für sich selbst", heisst es in dem Brief, den Topstars wie Bayern Münchens

Falls der saudische Ölkonzern als neuer FIFA-Partner die Frauen-WM 2027 sponsern solle, wäre das "ein Tritt in die Magengrube", hiess es in dem zweiseitigen Brief, der konkrete Beispiele von Menschenrechtsverletzungen nannte. Demnach wurde die Studentin und Mutter Salma al-Shehab 2023 zu 27 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie sich in sozialen Medien für Meinungsfreiheit eingesetzt hatte, wie Amnesty International berichtete (sie wurde Anfang 2025 freigelassen). Ausserdem erhielt die 29 Jahre alte Fitness-Trainerin Manahel al-Otaibi eine elfjährige Haftstrafe, weil sie sich auf Snapchat "gegen das männliche Vormundschaftssystem und die sittliche Kleidung" eingesetzt hatte und damit das "Anti Cyber Crime"-Recht des Königreiches brach, wie das BBC berichtete.
Deutsche Trainerin Monika Staab schwärmt vom Frauenfussball in Saudi-Arabien
Eine andere Perspektive hat die hessische Fussballtrainerin Monika Staab, die sich selbst als "Entwicklungshelferin im Fussball der Frauen" sieht. Die 66-Jährige coachte schon die Frauen-Nationalmannschaften von Katar, Bahrain und Gambia, bevor sie 2021 nach Saudi-Arabien zog. Dort war sie Trainerin der ersten Frauen-Nationalmannschaft in der Geschichte des Wüstenstaats und leitete zudem einen C-Lizenz-Kurs für angehende einheimische Fussballtrainerinnen. "Es ist beeindruckend zu sehen, wie schnell die Transformation [in Saudi-Arabien] voranschreitet", sagte Staab dem Deutschen Olympischen Sportbund im Frühjahr 2025 anlässlich ihres Karriereendes. "Dass viele Frauen heute im Strassenbild ohne Hijab herumlaufen, zeigt, dass Dinge sich verändern".
Kann der Fussball in Saudi-Arabien also das Leben der Frauen vor Ort verändern - ja, vielleicht sogar verbessern? Oder geht es bei den hohen Investitionen, die der Staatsfond im Frauensport tätigt, nur um einen Imagewandel des erzkonservativen Königreichs, auch bekannt als "Sportswashing"?
Die Entwicklung des Frauenfussballs ist jedenfalls rasant - auch, weil der Sport in Saudi-Arabien vor nicht allzu langer Zeit gar nicht offiziell ausgeübt werden durfte. Bis 2017 war Mädchen der Schulsport untersagt, erst seit 2018 dürfen Frauen Fussballspiele im Stadion besuchen, im selben Jahr wurde es ihnen erstmals erlaubt, Auto zu fahren.
Beachtliche Preisgelder in der saudischen Frauen-Liga
2019 richtete der saudi-arabische Fussballverband eine Frauenabteilung ein. Das Nationalteam der Frauen bestritt 2022 sein erstes Länderspiel. Die damalige Nationaltrainerin Staab hiess 2021 zum Scouting-Lehrgang 400 interessierte Fussballerinnen willkommen und erzählte der BBC später rückblickend: "Ich habe in 90 Ländern gearbeitet, aber ich habe noch nie eine solche Unterstützung vom Verband und vom ganzen Land erfahren wie in den letzten zwei Jahren in Saudi-Arabien". Mittlerweile spielen 70.000 Mädchen in der nationalen Schulfussballmeisterschaft, sagte Adwa Al-Arifi, Vize-Ministerin für Sport, dem amerikanischen "Fortune"-Magazin.
Zurück zu Marozsan. Die frühere Spielmacherin der DFB-Frauen (2016 bis 2019) stand im März noch im Halbfinale der Frauen-Champions-League. Nun zieht sie also weiter nach Khobar, eine mittelgrosse Stadt am persischen Golf. Die dortige Saudi Women's Premier League geht in ihre vierte Saison und umfasst mittlerweile zehn Teams. Laut Forbes sind die Preisgelder beachtlich: Der Meister erhält umgerechnet rund 533.000 US-Dollar. Neben Marozsán spielen dort bereits andere internationale Stars wie Sarah Bouhaddi, Kheira Hamraoui und Sara Gunnarsdóttir. Maroszan wird die erste Deutsche sein.
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In der vergangenen Saison kickten laut Forbes 200 Fussballerinnen aus 20 verschiedenen Nationen in der Saudi Women's Premier League. Eine von ihnen war die gebürtige Französin Lina Boussaha, die mittlerweile für Algeriens Nationalmannschaft spielt. Im Dezember 2022 ging die bei Paris Saint-Germain ausgebildete Mittelfeldspielerin nach Saudi-Arabien, weil sie in Frankreich aufgrund des Verbots religiöser Symbole in Sportwettkämpfen nicht mit Hijab spielen durfte.
Verwendete Quellen:
- NTV: "Ein neuer Star in Rot" Ex-DFB-Star wechselt überraschend nach Saudi-Arabien
- RND: Der Ruf der Wüste
- The Guardian: Top female footballers urge Fifa to end deal with Saudi 'nightmare sponsor'
- Athletes of the World: Open Protest Letter to FIFA President Gianni Infantino
- Human Rights Watch: Saudi Arabia's Newest Sportswashing Strategy
- DOSB: Wegbereiterin, Türöffnerin, Pionierin - das bunte Fussballleben der Monika Staab
- Forbes: Saudi Women's Premier League 2024-2025: What You Need To Know
- BBC: Saudi Arabia football revolution spreads to women's game
- Arab News: 'Incredible feeling': Saudi Women's Premier League glory vindicates Boussaha's Al-Nassr move