Eine knappe Nachricht erschüttert die englische Fussballtradition: In der Saison 2025/26 soll am zweiten Weihnachtstag nicht gekickt werden. Kein Fussball nach Tagen mit Familie, Fressen und Feiern? Nicht nur Kolumnist Pit Gottschalk fragt: Wie soll das gehen? Und hofft klammheimlich auf eine Ausnahmeregelung.
Die Rechteverteilung in der Bundesliga hat bei mir zu einem völlig irrationalen Zuschauerverhalten vorm Fernseher geführt. Weil der TV-Sender Sky sonntags keine Erstligaspiele mehr zeigen durfte und DAZN genau diese Spiele nicht mit der notwendigen Liebe zum Detail zelebrierte, passte ich über die Jahre meine Sehgewohnheiten an: mittags 2. Liga, nachmittags Premiere League – so setzte ich während der Corona-Zeit die Prioritäten. Und bin heute dankbar dafür.
Seitdem schaue ich die erste englische Liga mit einer Hingabe, die ich in den Jahren zuvor für unmöglich gehalten habe. Und sogar als Kind der Bundesliga muss man zugeben: Auf der Insel wird besserer, weil schnellerer und technisch versierterer Fussball gespielt.
Wer das nicht glaubt, sollte schleunigst das Uefa-Ranking aufrufen: England thront in der Europapokal-Wertung unangefochten auf Platz 1. Nicht Spanien und schon gar nicht Deutschland.
Steht der Boxing Day auf der Kippe?
Einmal Feuer gefangen, brennt man für die Premier League. Besonders an Weihnachten. Und damit sind wir beim Thema dieser Kolumne. Gestern entsetzte eine Nachricht halb Europa, die mit einem Satz alles erklärt, aber Laien verständlich gemacht werden muss: "Kein Fussball an Boxing Day", titelte sogar die wenig fussballaffine New York Times, weil sie wusste: Einen grösseren Bruch mit einer liebgewonnenen Tradition im englischen Fussball kann es kaum geben.
Jetzt für die Laien: Wenn überall sonst an Weihnachten der Ball ruht, rufen die englischen Vereine am zweiten Weihnachtstag ins Stadion und kicken, was die Liga hergibt. Boxing Day heisst der Tag deswegen, weil die feine Gesellschaft nach guter Sitte am letzten der drei Feiertage ihren Bediensteten Geschenke machte – in einer Box natürlich. Deswegen: Boxing Day. Für TV-Sender war das immer ein doppelter Tag zur Freude: Es gab Premier League, wenn sonst nichts lief.
Und jetzt soll damit Schluss sein? Die Liga-Bosse führen gute Gründe an. Die Spieltage an den zwei letzten Wochenenden des Jahres und die Weihnachtstage liegen in der Saison 2025/26 so ungünstig, dass Spieler, Trainer und das Personal, das an Spieltagen arbeitet, nicht zur Ruhe kommen.
48 stressfreie Stunden sollten es sein. Auch in der Premier League. Wenn man ehrlich ist: Nirgendwo sonst wird so gut bezahlt wie in England – aber der Fussball auch so ausgebeutet.
In England wird auch "zwischen den Jahren" gespielt
Weil die Premier League 20 Mannschaften aufbietet, hat die Saison 38 Spieltage statt 34 wie in der Bundesliga. 33 finden an Wochenende statt, fünf unter der Woche. Dazu kommen zwei Pokalwettbewerbe und Verpflichtungen in der Champions, Europa und Conference League.
Um das Programm in den begrenzten Kalender zu zwängen, hat man keine andere Wahl: Anders als im Rest Europas wird in England "zwischen den Jahren", wie man die Zeit nennt, durchgespielt.
Wir Sky-Zuschauer in Deutschland wurden Nutzniesser: Die Premier League war unsere beste Ersatzdroge beim Bundesliga-Entzug in der Winterpause. Der Boxing Day bildete den Abschluss nach anstrengenden Tagen mit Familie, Fressen und Feiern.
Ich sage, wie’s ist: Klammheimlich hoffe ich auf das Kleingedruckte in den jüngsten Nachrichten zum Boxing Day. Die TV-Sender dürfen mit den Klubs Ausnahmen arrangieren und doch spielen. Jede Wette, dass das passiert!