Vier Tore in sieben Pflichtspielen: Nick Woltemade ist bei Newcastle United gut aus den Startlöchern gekommen. Allerdings lohnt sich bei dem Nationalspieler auch ein zweiter Blick, der zeigt, dass längst nicht alles rosig ist. Experte Uli Hebel sagt aber auch ganz klar: Es kann noch viel besser werden.
Die englische Tradition gefällt
Macht vier Tore in sieben Pflichtspielen: In Newcastle feiern sie den 85-Millionen-Neuzugang. Doch wer genauer hinsieht, merkt schnell: Das ist kein Märchenstart, sondern ein Arbeitseinstieg mit Sternchen.
"Das Bild ist grauer, als es aussieht", sagt Dazn-Experte Uli Hebel im Gespräch mit unserer Redaktion. Denn Woltemade ist vor allem brutal effizient vor dem Tor, macht aus nur wenigen Chancen seine Tore. Laut "FootyStats" waren es ganze sieben Torschüsse in der Liga. Das Gesamtbild ist daher eher "durchwachsen, im Grunde war das ein ganz normaler Start", sagt Hebel.
Unterschied zwischen Wirtz und Woltemade
Wie unterschiedlich die Bewertungen sein können, zeigen Woltemade und Nationalmannschafts-Kollege Florian Wirtz, der beim FC Liverpool einen mühsamen Start erwischt hat. Während Woltemade überhöht wird, wird der andere zerredet. "Hier in Deutschland drehen alle durch, Woltemade steht gefühlt plötzlich in der Ballon-d’Or-Top-30, während
Dass Woltemade so heraussticht, liegt auch an den Startproblemen des Klubs. Newcastle United hat Top-Torjäger
Die Findungsphase der umgebauten Mannschaft findet gerade auf dem Platz statt. Was erklärt, warum offensiv noch nicht alles rund läuft und es zahlreiche Unsauberkeiten im Angriffsspiel gibt. Auch, weil Woltemade ein anderer Spielertyp ist als sein Vorgänger Isak. Die Resultate stimmen trotzdem halbwegs, in der Premier League steht das Team mit neun Punkten auf Platz elf, sieben Zähler hinter der Spitze.
Newcastle: Schwächste Offensive unter Eddie Howe
Doch zur Wahrheit gehört es auch, dass dies "Newcastles schwächste Offensive ist, seit Eddie Howe dort ist (seit 2021, Anm.d.Red.)", wie Hebel erklärt. Schwach in der Chancenverwertung bei gerade einmal 6:5 Toren nach sieben Spielen, dazu mit einem fehlenden Rhythmus in Struktur und Spielaufbau. Es wäre nicht verwunderlich, wenn es die gesamte Saison dauert, bis die Mannschaft als Kollektiv das Maximum abruft. Doch ein Grund zur Panik besteht keineswegs.
Denn für einen Abstiegskampf oder das graue Mittelfeld hält Hebel die Mannschaft für "zu gut, zu robust, zu clever gecoacht. Sie werden auf hohem Niveau überleben, aber nicht dominieren". Maximal ist Newcastle immer noch ein Champions-League-Kandidat, mindestens aber um Europa League oder Conference League spielend.
Trotz des statistischen Bilderbuch-Starts sieht Hebel bei Woltemade noch Luft nach oben und in dem Zusammenhang den Vorteil, dass er als Spielertyp gut in die Premier League passt. Denn im Moment suchen viele Premier-League-Klubs genau den Stürmertypen, den Woltemade verkörpert.
Woltemade passt in die Premier League
"Drop and Combine" heisst das in England. "Das ist jemand, der sich fallen lässt, am Kombinationsspiel teilnimmt und dadurch Räume öffnet für gegenläufige Bewegungen", sagt Hebel. Eine Mischung aus Vollstrecker und Spielgestalter also. Woltemade bringt alles mit, was man dafür braucht: Spielintelligenz, Übersicht, Technik und Physis. Nur in der Luft fehlt ihm noch Wucht, die "Peter-Crouch-Komponente", wie Hebel es nennt.
"Dann ist er eigentlich unaufhaltbar. Dann hättest du den nahezu perfekten Stürmer", sagt Hebel. Auch so ist Woltemade mit seiner Technik und seinem Körper "wie gemacht für die Premier League. Das Paket ist sexy", sagt Hebel. Was das "Woltemade-Paket" so attraktiv macht, sind die Aussichten, dass er in seiner Zeit auf der Insel prägend sein kann.
Auch mental scheint der frühere Stuttgarter schon angekommen zu sein. Woltemade wirkt gelöst, befreit, glücklich. In Stuttgart war die Situation zuletzt festgefahren, es gab viel Trubel, zu viele Nebengeräusche um seinen geplatzten Wechsel zu den Bayern. In Newcastle dagegen herrscht Ruhe, zumindest im Vergleich.
Aus der Dauerbeobachtung raus
Denn Newcastle ist nicht Liverpool, die Dauerbeobachtung ist eine andere, weil in Deutschland nicht jeder jede Woche Newcastle schaut. Der Schritt in die Premier League sei daher gross gewesen, aber richtig, findet England-Experte Hebel: "In Newcastle liegt der Druck anders, er ist dort eher Symbol für den neuen Weg, nicht Projektionsfläche wie Wirtz in Liverpool."
Dass der Druck trotzdem auf hohem Niveau verbleibt, liegt auf der Hand. 85 Millionen Euro sind viel Geld. Dazu ist das Umfeld speziell. "Die Leute im Nordosten Englands leben für den Fussball. Für sie ist das kein Hobby, sondern Identität. Das muss man verstehen, sonst begreift man Newcastle nicht", erklärt Hebel. Woltemade hat sich allerdings Kredit verschafft, weil er abliefert, aber wenn es mal nicht laufen sollte, dürfte es spannend werden. Denn dann wird Woltemade vor allem der Nachfolger von Isak sein. "Und Isak hat da zwei Jahre lang alles kurz und klein geschossen. Da wird der Druck spürbar werden", sagt Hebel.
Umfeld in Newcastle weniger hysterisch
Von Vorteil ist: Der Klub ist riesig, aber die breite Öffentlichkeit reagiert weniger hysterisch als in den klassischen "Big Six" der Premier League um Klubs wie den FC Liverpool oder Manchester City. Woltemade kommt das zugute. Er kann sich ohne intensive Dauerbeschallung entwickeln, ohne dass jedes Spiel zu einer Staatsaffäre wird. "Und trotzdem hat er dort eine zentrale Rolle, um die herum auch taktisch viel gebaut wird", sagt Hebel.
Empfehlungen der Redaktion
Seine Persönlichkeit dürfte ihm helfen, seine Rolle auszubauen. Denn Woltemade mag in seinem Auftreten cool, locker und entspannt bis nonchalant wirken, "aber auf dem Platz ist er extrem ernsthaft. Er hat eine klare Meinung über sich und sein Spiel, ist sehr lernwillig, sehr fokussiert", betont Hebel.
Bleibt die grosse Frage: Wie viele Tore macht der 23-Jährige bis zum Ende der Saison? In England kursiert die Zahl 20, Hebel hält das für zu hoch gegriffen und sagt "14 bis 15. Das wäre realistisch und gleichzeitig eine riesige Leistung in der Premier-League-Debütsaison, unter diesen Umständen". Den passenden Song dafür gibt es ja immerhin schon.
Über den Gesprächspartner
- Uli Hebel ist Kommentator bei Sky und DAZN. Mit seinem Bruder Joachim betreibt er zudem den Podcast "Klick&Rush" über die wichtigsten Themen des englischen Fussballs.
Verwendete Quellen
- sky.de: ''Wenn man Tore schiesst, bekommt man einen schönen Song''
- footystats.org: Nick Woltemade Stats