Profifussballer zieht es meist dorthin, wo die Namen am grössten und Gagen am höchsten sind. Nicht so Svend Brodersen: Der Torhüter und Mangafan kehrte der Bundesliga den Rücken, um in seinem Sehnsuchtsland Japan zu spielen. Dort ist er jetzt ein Star.

Ein Porträt
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Als sich der Keeper mit der Glatze aus dem Tor geschlichen, sich im Eins-gegen-eins breitgemacht und letztlich ein sichergeglaubtes Tor verhindert hat, jubelt nicht nur er selbst laut auf. "Brodersen!" Sugoi!", schreit der TV-Kommentator in sein Mikrofon, Japanisch für: "Unglaublich, dieser Brodersen!" Denn in Japan, wo dieser Mann seit 2021 Bälle hält, seit 2023 bei seinem aktuellen Team Fagiano Okayama, findet man nicht nur die Paraden unglaublich, sondern auch seine emotionale Art, mit der er sich und seine Mannschaft immer wieder nach vorne pusht.

Dabei ist dieser Brodersen aus noch viel mehr Gründen eine Attraktion in der J-League, der obersten japanischen Fussballliga. Neben seiner auf dem Platz für die japanische Fussballkultur untypisch aufbrausenden Spielweise wäre da noch seine wenig übliche Rückennummer: die 49, die entsprechend der internationalen Telefonvorwahl auf seine Heimat hindeutet. Und in Kombination mit seiner fernen Herkunft wundert man sich in Japan oft darüber, wie dieser Ausländer dann doch ziemlich japanisch daherkommt.

Mangageek zwischen den Pfosten

"Die Leute nennen mich hier oft Otaku", grinst Svend Brodersen im Gespräch, an einem Vormittag nach seinem täglichen Training. Der 28-Jährige erklärt selbst: "Als Otaku werden hier Leute bezeichnet, die Anime und Manga lieben." Und er sei eben Fan von allen möglichen Storys aus der japanischen Popkultur: One Punch Man, eine Geschichte über einen übernatürlich kräftigen Typen, und Slam Dunk, eine Serie über eine Basketballtruppe, gehören zu seinen Lieblingsanimes. Doch die Liste der Serien und Sagas, die Brodersen schon "weggesuchtet" hat, liesse sich noch lange fortführen.

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Warum das erwähnenswert ist? Weil der gebürtige Hamburger Svend Brodersen Fussballprofi ist – aber seine Karriereplanung nicht primär an den prestigereichsten Klubs oder höchsten Gehältern ausgerichtet hat, sondern an der Kultur, in der er sein Leben verbringen will. "Mit meinem Transfer nach Japan habe ich mir damals einen Traum erfüllt", sagt Brodersen heute. Seit mittlerweile vier Jahren spielt Brodersen hier, seit eineinhalb Jahren beim Erstligisten Fagiano Okayama, wo er längst Leistungsträger ist.

Fliessend Japanisch – und damit besonders

Und Publikumsliebling – insbesondere aber wegen seiner Leistungen neben dem Platz. Denn Brodersen spricht fliessend Japanisch, was für Profis aus dem Ausland keine Selbstverständlichkeit ist. Stars wie Andres Iniesta, Lukas Podolski oder auch Trainer wie Michael Skibbe sind bei ihren Engagements bei japanischen Klubs dieser schwierigen Sprache mit all ihren Schriftzeichen nicht mächtig geworden. Brodersen aber beherrscht sie sogar samt ihrer delikaten Höflichkeitsformen.

Zu Medienterminen kommt der grinsende Glatzkopf immer wieder in Merchandise nicht etwa von seinem Arbeitgeber, sondern von einem seiner Lieblingsmangas. All den popkulturellen Werken habe er schliesslich auf doppelte Weise sein heutiges Dasein zu verdanken. "Als ich 2021 nach Japan kam, konnte ich ja noch gar kein Wort Japanisch. Aber ich habe es mir dann angeeignet, indem ich alle möglichen Animes auf Japanisch ansah, und bald auch Manga auf Japanisch las. Das machte Spass, das funktionierte!"

Ein Wechsel ins Ausland – nicht für den Marktwert

In einer Fussballwelt, die von einem schnellen Transfermarkt geprägt ist, wo Berater ihre Spieler teils ohne deren Wissen von einem Klub an den nächsten vermitteln, ist Svend Brodersen eine Art Antiprofi: Ein Typ, der als Fussballer nicht nur Spieler ist, sondern auch ein kulturell Lernender. "Meine Kindheit wurde durch Nintendo, Godzilla, Samurai, Fast & Furious stark von der japanischen Kultur beeinflusst", erklärte Brodersen 2021 seinen Wechsel aus der Zweiten Bundesliga zu Yokohama FC: "Seitdem ist es mein Traum, eines Tages nach Japan zu kommen."

Als der Wechsel zustande kam, erinnert sich Brodersen heute, schüttelten Mitspieler noch den Kopf. Seit Jahren war er Ersatztorwart bei seinem Jugendklub gewesen, dem damaligen Zweitligisten FC St. Pauli, schaffte es aber kaum zu Einsätzen. "Als mein Vertrag auslief, hätte ich wohl verlängern können, aber es wäre eine Reservistenrolle gewesen." Seinem Kabinennachbarn, dem Japaner Ryo Miyaichi, erzählte Brodersen von seiner Faszination für dessen Heimatland. "Ryo gab mir ein paar Tipps."

Olympiareise als One-way Trip

Und dann kamen die Olympischen Spiele in Tokio 2021 – wo Brodersen seine am Abenteuer ausgerichtete Einstellung zum Fussball offenbarte. Denn nachdem einige Torhüter dem DFB ihre Teilnahme an Olympia – das beim Fussball keinen hohen Stellenwert hat – nur hatten zusagen wollen, wenn sie auch spielen würden, sagte Brodersen letztlich auch als Ersatztorwart zu: "Ich hatte sofort Bock! Olympia ist doch ein Riesenevent."

Auch über Mannschaftskollege Miyaichi fädelte Brodersen einen Transfer ein, sodass er nach dem für Deutschland erfolglosen Olympiaturnier nicht mehr zurückreiste. Und schon bald hätten diejenigen, die ob Brodersens Entscheidung zuerst skeptisch gewesen seien, den Hut vor seiner Entscheidung gezogen: "Einige meiner Kollegen haben mir schon gesagt, dass sie es eigentlich auch gern so gemacht hätten, wie ich: Eine ganz andere Kultur kennenlernen, auch wenn man die Bundesligakarriere opfert."

Empfehlungen der Redaktion

Die J-League möge nicht ganz das Niveau der obersten deutschen Spielklasse haben, aber voll sind die Stadien trotzdem – und Svend Brodersen hat sich auch hier weiterentwickelt. Zum Abschluss der deutschen Saison machte der "kicker" im Juni eine Analyse der besten deutschen Auslandsprofis. Neben Nicolas Kühn von Celtic Glasgow wurde nur Svend Brodersen als "herausragend" eingestuft.
Abgesehen davon, dass er eigentlich auf andere Weise herausragt: Als Profi, der im Fussball ein Abenteuer sieht, bei dem man viel mehr lernen kann als das Spiel auf dem Platz.

Verwendete Quellen