Beat Feuz war im Prinzip schon Sportinvalide, die Ärzte bangten sogar um sein linkes Bein. Jetzt ist der Schweizer Weltmeister in der Abfahrt. Die Geschichte eines unglaublichen Talents, das erst durch einige Schicksalsschläge den richtigen Weg fand.

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"Du bist nicht du, wenn du Hunger hast", sagt uns die Werbung. Und vielleicht stimmt das sogar. Das House of Switzerland am Sonntagabend: Hunderte Fans warten auf die Ankunft des neuen Abfahrts-Weltmeisters, die Stimmung ist sensationell gut, die Schwyzeröregli-Spieler geben alles, "Beat Feuz, du machsch eus giggerig".

Aber Beat Feuz, wenige Stunden zuvor zum schnellsten Skirennfahrer der Welt gekürt, macht gar niemanden giggerig. Er kommt nicht. Stundenlang harren die Fans aus, bis endlich jemand aufs Podium tritt und die schlechte Nachricht überbringt. "Beat Feuz ist durch einen anderen Eingang gekommen und isst jetzt. Er hat Hunger."

So ist das manchmal mit den grossen Champions. Beat Feuz hat ein Jahrzehnt lang hin gearbeitet auf diesen Tag, auf seinen "Feuz-Tag". Die Schweiz kennt sich aus mit tragischen Helden, die an der Schwere der Last erstickt sind oder einfach nur unglaubliches Pech hatten.

Dem Karriereende ganz nahe

Daniel Albrecht war so ein Kandidat. Ein neuer Stern am Schweizer Ski-Himmel, bis er auf der Streif abhob und beinahe sein Leben verlor. Albrecht musste dem Profi-Sport adieu sagen, noch bevor er sich einen Namen machen konnte.

Noch schlimmer hatte es Silvano Beltrametti erwischt, der seit einem Sturz im Jahr 2001 an den Rollstuhl gefesselt ist.

Für Beat Feuz hatte das Schicksal eine andere Wendung vorgesehen. Vor etwas mehr als vier Jahren hing auch seine Karriere am seidenen Faden. Nach einer schweren Knieverletzung wollte das Gelenk nicht mehr so, wie es sollte.

Ein halbes Dutzend Mal wurde Feuz am Knie operiert, immer wieder bildeten sich Reizungen und Wasser im Gelenk. Die Infektion war zeitweise so stark, dass die Ärzte überlegten, ihm den Unterschenkel zu amputieren.

Eine verunreinigte Spritze hatte die Infektion in den Körper gespült, die Wahrscheinlichkeit für diese Art Komplikationen liegt bei etwas 1:50.000. In der Schweiz war vor Feuz' Tragödie jedenfalls kein anderer solcher Fall bekannt.

Auf einer Pressekonferenz im Krankenhaus musste er sich erklären, wie und ob überhaupt es mit einer Laufbahn im Ski-Zirkus weitergehen könne. Und falls nicht, "dann höre ich halt auf".

Dieser Tag damals im Krankenhaus war ein Wendepunkt, an diesem Tag hat sich Feuz verabschiedet von penibel durchkonzipierten Planungen der Zukunft. Er hat den "Feuz-Tag" entdeckt, die Fokussierung auf genau ein wichtiges Rennen.

Der Kugelblitz

Früher wurde ihm immer mal vorgehalten, er gehe zu schlampig mit seinem wahnsinnig grossen Talent um. Er sei zu faul und zu schnell zufrieden. Und wenn die anderen aus dem Kader im Kraftraum Gewichte stemmten, hatte er eine leichte Erkältung oder ein anderen Zipperlein und legte sich stattdessen ins Bett. So geht jedenfalls die Mär.

Tatsächlich hat Feuz irgendwann gemerkt, dass es mit Talent alleine nicht geht und dass er vielleicht wirklich ein paar Kilos zu viel auf den Rippen hat. Nicht umsonst haben sie ihm den Spitznamen "Kugelblitz" verpasst.

Er hat sich dann davon verabschiedet, fünf Monate im Jahr während der Saison in jedem Rennen immer Vollgas zu geben, auf der Jagd nach den Kristallkugeln des Weltcups.

Aber ausgesuchte Rennen, gerade die ganz schwierigen und gefährlichen, ist Feuz immer ein wenig anders angegangen als seine Konkurrenten. Als Kind, so geht die Geschichte, habe er mit zwei Jahren das Skifahren erlernt und selbst im jüngsten Alter nicht den klassischen Stemmbogen genutzt, um um die Ecken zu fahren.

Dem Druck standgehalten

"Er wollte einfach auf die Ski und fuhr gerade herunter", erinnerte sich seine Mutter Heidi. "Und wenn er das Gefühl hatte, er wollte bremsen, setzte er sich einfach auf den Boden."

Das war nicht immer die beste Methode und dieses überbordende Risiko fügte ihm schliesslich schon in jungen Jahren zwei Kreuzbandrisse und zwei Fersenbrüche zu.

Die Saisons in den Weltcup mergelten ihn aus. "Nach zwei Wochen im Weltcup war meine Energie völlig weg", erinnerte er sich an seine Comeback-Saison 2013.

Seine Freundin Katrin Triendel gab auch deshalb ihren Beruf auf und begann eine Ausbildung zur Physiotherapeutin. Die Strategie, nur noch auf einzelne Events abzuzielen, sollte sich immer mehr bezahlt machen.

Bei der Generalprobe in St. Moritz vor einem Jahr flog Feuz als Schnellster im Super G und in der Abfahrt die Corviglia hinunter. Spätestens seitdem galt er als der grosse Favorit auf Gold in der WM-Abfahrt. Er hat seitdem viel weniger trainiert als alle ernstzunehmenden Konkurrenten, das Knie lässt dauerhaft grosse Belastungen einfach nicht mehr zu.

Kein Rücktritt nach dem Triumph

Das alles hat er vergessen am letzten Sonntag. Die Schmerzen, die Qualen, die Ungewissheit und auch ein wenig die Angst vor dem Versagen einfach weggedrückt.

"Es war schwierig, die ganze Zeit zu kämpfen. Aber wenn man ganz oben stehen darf, ist das mehr als genug, was man zurückbekommt", sagte er auf der Pressekonferenz nach dem Rennen und wirkte dabei völlig nüchtern.

Ein norwegischer Reporter hat ihn nach dem Rennen den "Kanonenball" genannt, offenbar ist der Begriff Kugelblitz noch nicht bis in den Norden Europas durchgedrungen. Ob der Kanonenball denn jetzt aufhören werde, nach dem grössten Triumph seiner Laufbahn?

"Ich werde jetzt vielleicht einige Rennfahrer-Kollegen enttäuschen - ich trete noch nicht zurück. Ob ich noch mehrere Saisons bestreiten werde, kann ich jetzt noch nicht sagen. Aber ich will auf jeden Fall im kommenden Olympia-Winter noch einmal richtig angreifen."

Am Abend im House of Switzerland ward er nicht mehr gesehen. Spätestens Ende März wird er aber wieder auftauchen. Und wenn er dann im Starthäuschen in Kvitfjell steht, bereit sich bei der Weltcup-Abfahrt in Norwegen den Hang hinunterzustürzen, wird er nicht mehr der Beat Feuz sein, der er vor St. Moritz war. Dann geht er erstmals als Weltmeister in ein Rennen.

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