Es ist vollbracht. Die vergangenen drei Wochen konnte man sich in unserem hochkulturell ausgerichteten Land der Dichter und Denker eigentlich nur mit dem Dschungelcamp beschäftigen. Zwischenzeitlich hatte man aufgrund der Nachrichtenlage den Eindruck bekommen, Lucas Cordalis wäre Bundeskanzler, Tessa Bergmeier Agrarministerin, Claudia Effenberg Verteidigungsministerin und Gigi Birofio Regierungssprecher. Was natürlich auch Auswirkungen auf das Privatleben hatte.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Für eine Weile wusste man mehr über die Familienverhältnisse von Iris Klein und Peter Klein als über seine eigenen. Vom Liebesleben ganz zu schweigen. Und auch aus der wohligen Komfortzone, in der man keinen blassen Schimmer hatte, wer zum Teufel wohl Yvonne Woelke ist, wurde man brutal herausgerissen.

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Nun aber hat die Nation für die kommenden elf Monate die anti-tierfreundliche RTL-Kakerlakenhölle für insolvenzauffällige D-Promis wieder überstanden und kann sich endlich wieder aktuellen Themen mit Relevanz widmen. Also, ausser der Axel Springer Verlag. Der veröffentlicht seit einer Woche praktisch ausschliesslich Texte darüber, wie unwitzig, unfreiheitlich und illiberal die Büttenrede von Marie-Agnes Strack-Zimmermann während der Karnevals-Sitzung "Wider den tierischen Ernst" gewesen wäre.

Dort hatte sie vor einem Millionen-TV-Publikum zu CDU-Chef Friedrich Merz festgestellt: "Wer vor Krieg geflohen ist, verhöhnt er als Sozialtourist. Heisst ein Junge Ali und nicht Sascha, beschimpft er ihn als Grundschulpascha. Und alle Klimaaktivisten sind für ihn nur noch Terroristen. Doch treibt’s ein Nazi-Prinz zu wild, dann wird der Flugzwerg plötzlich mild." Wenn man so will, nur eine Aneinanderreihung von Merz-Originalzitaten. Für "Welt" und "Bild" (nebst dem angeschlossenen TV-Sender, der kürzlich mit 23 Zuschauern eine neue Rekordquote eingefahren haben soll) jedoch ein Trigger-Thema wie sonst höchstens Drosten oder Habeck. Der politisch neutralste, seriöseste und rechercheintensivste Verlag Europas wertet alles, was gegen Merz als die letzte rechte Hoffnung der Union geht, offenbar als Majestätsbeleidigung.

Putin*innen

Egal, ich wollte mich ja wichtigen Themen widmen. Zum Beispiel dem pro-putinistischen Friedenschor Sahra Wagenknecht/Alice Schwarzer. Nachdem bei den beiden russlandtreuen Solidaritätszuschussempfängerinnen aus dem Kreml-PR-Budget zuletzt die Einladungen in Talkshows rar geworden waren, musste im Propagandazug nach St. Petersburg gehandelt werden.

Die jüngst nach monatelanger Diskussionsorgie freigegebenen Leopard 2 Panzer für die Ukraine boten zum Glück den perfekten Rahmen für den achtzehnten Offenen Brief. Die beiden putintreuen Kampf-Matadorinnen haben inzwischen so viele Briefe an Olaf Scholz formuliert, der Kanzler müsste mittlerweile von der Post eine eigene Postleitzahl zugeordnet bekommen haben.

Dieses Mal als Manifest verkleidet, adressieren die beiden ausgewiesenen Kriegs- und Aussenpolitik-Koryphäen erneut einen Platitudenstadl in Wortform an den Kanzler. Handlungszwerg Olaf Scholz, der besagte Panzer in einem für seine Verhältnisse als "Rekordtempo" zu deklarierenden Zeitrahmen bereitstellen liess, ist da absolut der richtige Ansprechpartner.

Alice "Frauen sollten sich züchtiger kleiden, wenn sie nicht vergewaltigt werden wollen" Schwarzer und Sahra "Putin wird nie in die Ukraine einmarschieren" Wagenknecht halten sich da sklavisch an ein friedenspolitisches Protokoll. Denn um einen völkerrechtswidrigen Krieg zu beenden, appelliert man stets an Unterstützer des Angegriffenen. Nie an den Aggressor. Frieden bedeutet ja schon philosophisch, dass sich der Stärkere nimmt, was ihm seiner Auslegung nach zusteht, während der Schwächere froh sein muss, am Leben zu bleiben. Da bin ich ganz auf der Seite von Alice-Sahra Schwarzknecht.

Schrödingers Pazifisten

Mit Beispielen dafür, wie absurd diese "verhandelt endlich oder ihr seid Kriegstreiber"-Theorie ist, könnte man weitere 23 Kolumnen füllen. Eine der argumentativ seichtesten, naja, Entgegnungen bei Kritik an dem an Naivität und Ignoranz kaum zu überbietenden Manifest ist ja oft: "Dann geh doch selbst an die Front!" Was vor allem aus zwei Gründen bemerkenswert ist. Zum einen zeigt es recht gut das bildungshistorische Niveau derjenigen, die sich für Pazifisten halten, weil sie glauben, Schwarzer und Wagenknecht hätten auch nur einen Hauch von Kompetenz in der Frage nach Waffenlieferungen an die Ukraine.

Zum anderen skizziert es das epochale Intelligenzdilemma, in das sich Fans der selbsternannten Friedensbewegung täglich manövrieren. Denn: Wenn Befürworter der Waffenlieferungen an die Ukraine dann doch bitte alle selbst an die Front sollen, hiesse das dann nicht, dass ausgerechnet die Brigade Wagenknecht/Schwarzer, die nicht müde wird, davor zu warnen, Deutschland dürfe keine Kriegspartei werden, jetzt verlangt, Deutsche sollten sich in einen Bodenkampf auf ukrainisches Terrain gegen Russland begeben? Diese Forderung ist so unterkomplex, dafür gibt die deutsche Sprache kaum noch Vokabeln her.

Berlin muss endlich autofreundlich werden. Sagt die FDP.

Und dann gab es da ja auch noch Wahlen. In Berlin. Die Hauptstadt lässt inzwischen, quasi als demokratisches Symbol seiner chaosbasierten Schönheit, alle 14 Monate wählen. Dieses Mal war nach vielen Jahrzehnten wieder die CDU dran mit dem besten Wahlergebnis. Auch wenn man bei knapp 28 Prozent nicht unbedingt von Erdrutschsieg sprechen kann. Aber was sollen die Regierungsparteien SPD und Grüne sagen, die parallel bei jeweils etwa 18,5 Prozent einliefen. Dazu kommen eine verheerend niedrige Wahlbeteiligung (weniger als 65 Prozent) und eine krachend unter die 5-Prozent-Hürde (und damit aus dem Senat geflogene) FDP.

Insgesamt ein zwiespältiges Ergebnis. So richtig zufrieden kann keiner sein, so richtig unzufrieden auch nicht. Ausser die FDP. Die Liberalen hatten auf 500 Meter verkehrsberuhigte Friedrichstrasse als grosses Ankerthema gesetzt. Mal wieder hatte man sich von "Welt"-Kolumnisten auf einen bizarren Freiheits-Begriff einschwören lassen, der an den Wahlurnen am Ende einen Totalschaden bewirkte.

Ich freue mich schon auf die in den nächsten Tagen anstehenden zahlreichen Versuche aus den Reihen der Totengräber des Liberalismus, diese erneute Exmatrikulierung der FDP aus einem Landesparlament per plump-überheblicher „die Menschen sind halt doof“-Kolumnen dem ÖRR oder wahlweise der Büttenrede von Marie-Agnes Strack-Zimmermann in die Schuhe zu schieben. Das wird mal wieder ein Fest der journalistischen Selbstaufgabe.

Quo vadis, Berliner Senat?

Zusammenfassend kann man feststellen: Die FDP sagt, Berlin muss endlich autofreundlich werden. Das Wahlergebnis sagt, Berlin muss endlich FDP-frei werden. Im Grunde ist das allerdings nur eine Randnotiz, denn jetzt geht das grosse Koalitionsgeschachere ja erst los. Für die amtierende Regierung aus SPD, Grünen und Linkspartei würde es nach wie vor deutlich reichen. Die CDU ist jedoch deutlich stärkste Partei und begann folglich ab 18:00 Uhr am Sonntagabend den eindeutigen Regierungsanspruch abzuleiten.

Nun leben wir allerdings in einer parlamentarischen Demokratie – und da benötigt man eine Mehrheit im Parlament, um eine Regierung zu bilden. Wie die CDU das schaffen möchte, nachdem Spitzenkandidat Kai "nennt mir ihre Vornamen" Wegner noch am 5. Februar eine Koalition mit den Grünen ausschloss, bleibt rätselhaft. Es gibt sie nun mal, die ungefährdete Mehrheit der amtierenden Berliner Regierung, auch wenn man nun wirklich nicht davon sprechen kann, die Wähler hätten dem bisherigen Wirken von RRG ein euphorisches "Gut gemacht!" zugebrüllt.

Trotzdem wird Rot-Rot-Grün wohl weiterregieren. Wer sich beispielsweise an die Wahlen in Hamburg im Jahr 2001 erinnert, der kann ein Lied davon singen, dass die stärkste Partei nicht automatisch die Regierung bildet. Damals kam die SPD auf 36,5 Prozent und lag damit mehr als zehn Prozentpunkte vor der Union. Sie hatte damit deutlich mehr Stimmen als die CDU aktuell in Berlin und einen grösseren Vorsprung auf den Zweitplatzierten ebenfalls.

Jedoch: Ole von Beust ging im Anschluss an die Wahlniederlage einen unsäglichen Deal mit der Schill-Partei ein und wurde so am Ende regierender Bürgermeister. Sollte also zukünftig doch wieder Franziska Giffey oder sogar Bettina Jarasch die Stadt Berlin als Bürgermeisterin anführen, wäre das keinesfalls eine Sensation – und schon gar kein einmaliger Vorgang. Wir dürfen also gespannt bleiben. Bis nächste Woche!

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