Die neueste Folge "Germany’s Next Topmodel" ist ein einziges Versprechen auf die Zukunft. Denn Heidi Klum trifft eine wichtige Entscheidung: keine Entscheidung zu treffen. Gleichzeitig lässt sie diesmal Familien und Freunde der Models einfliegen. Und die treffen in Los Angeles zwar ihre Angehörigen, aber auch auf Techno-Aliens und ein Toiletten-Desaster.

Christian Vock
Eine Kritik
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"Ich dachte, nach Dragqueen kann’s nicht noch krasser werden, aber ich wurde mal wieder überrascht, weil hier alles passieren kann", darf man GNTM-Kandidat Moritz in der neuesten Folge "Germany’s Next Topmodel" zitieren und in der Tat scheint Heidi Klum beim Blättern durch ihre Kontakte ein echter Coup gelungen zu sein. UK-Superstar Harry Styles wird für den Donnerstag versprochen und das ginge tatsächlich in Richtung "krass". Geht es aber nicht.

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Denn beim genaueren Hinsehen versprechen Heidi Klum und die GNTM-Marketing-Abteilung nicht Harry Styles, sondern "Hairy Styles".

Statt des englischen Sängers bekommen Zuschauer und Kandidaten Yannik Zamboni zu sehen, einen Designer, der seine Klamotten zu riesigen Perücken tragen lässt. Daniela etwa wird eine bunte Haarhaube mit Pony-Schnitt tragen, an der ein Ast mit genauso bunten Haaren befestigt ist. Auf Moritz' Kopf hat man dagegen mehrere Flokatis zu einem Turm gestapelt. Also alles eher nichts für eine Fahrt im ÖPNV.

Kandidatin Canel schlägt allerdings gleich ins Gegenteil aus und wähnt sich schon kurz vorm Louvre: "Das ist nicht nur Mode, sondern auch Kunst für mich", findet das Nachwuchsmodell.

Ein Missverständnis, das einem schon häufiger bei Germany’s Next Topmodel" begegnet ist, daher kurz zur Richtigstellung für alle künftigen GNTM-Staffeln: Nichts von all dem hier hat mit Kunst zu tun. Die Show kann Spuren von Ästhetik enthalten, der Rest fällt unter "schriller TV-Unfug".

"Man hat meinen kompletten Arsch gesehen"

Heidi Klum scheint es ähnlich zu sehen, auch wenn sie es nicht direkt ausspricht. Die Outfits von Zamboni seien "extravagant, aussergewöhnlich und niemals langweilig" und wir wissen alle, dass Kunst extravagant und aussergewöhnlich sein kann, aber manchmal auch langweilig.

Und Zamboni hat genaue Vorstellungen, wie die Models seine aussergewöhnliche Extravaganz auf den Laufsteg bringen sollen: "Ihr werdet wie von einem Raumschiff auf die Erde gebeamt. Und ihr werdet auch so ein bisschen aussehen wie Aliens und dann lauft ihr zu Techno", erklärt Zamboni den Models - und das ist wirklich aussergewöhnlich.

Denn da macht sich die Menschheit schon so lange Gedanken, ob es Aliens gibt und wie die wohl aussehen, dabei hätte man nur einmal bei Yannik Zamboni durchklingeln müssen. Dann hätte man gewusst, dass Aliens sich Stöcke mit Haaren an den Kopf kleben und Techno mögen.

Aber weil man das nicht gemacht hat, gibt Zamboni den unwissenden Models noch den Hinweis, wie genau Aliens zu Techno laufen: "Es darf komisch wirken, es soll aber nicht gespielt oder aufgesetzt sein." Et voilà: Zumindest den ersten Teil bekommen die Models hin.

Der eigentliche Walk ist aber gar nicht so wichtig, wichtiger ist der Weg zum Walk. Auf dem versucht man nämlich Moritz und Kevin ein bisschen als Querulanten zu zeichnen, weil die nicht begeistert davon sind, in Tanga und schmerzender Turmfrisur herumzulaufen.

"Man hat meinen kompletten Arsch gesehen", stellt Kevin fest. Gleichzeitig darf Designer Zamboni wiederholt betonen, wie wichtig es sei, nicht zu meckern und sich "ab und zu mal anpassen zu können". Die übliche Dramatisierung, die man nach 20 Staffeln GNTM nicht mehr wirklich ernst nehmen kann.

Doppelte Überraschung für GNTM-Kevin

Aber die Klum hat sich nicht nur Zamboni mit seinen Techno-Alien-Outfits eingeladen, sondern noch ein paar Spezial-Gäste. Denn bevor die Models auf die Erde gebeamt werden, sitzen sie im Model-Loft, um in "zufälligen" Gesprächen zu erzählen, wie toll doch familiäre Unterstützung wäre.

Und potz Blitz – plötzlich liegt da ein Umschlag im Loft, der ein paar Video- und Brief-Botschaften aus der Heimat ankündigt. Zufälle gibt’s. Und nachdem die Models vor der Kamera das Briefgeheimnis verletzen wollen und laut vorlesen durften, quengeln ein paar herum, wie schade es doch ist, die Liebsten nur in Schriftform bei sich haben zu können.

Klum versteht den Unmut über das Heimweh und erklärt: "Aber dafür gibt es eine ganz einfache Lösung." Ja, klar! Warum ist da nicht schon früher jemand drauf gekommen? Man könnte zum Beispiel die Show in Deutschland machen und nicht in Klums Heimatstadt L.A.

Dann müssten keine 20 Models und das ganze Produktionsteam hin und her fliegen und ihre Familien vermissen, sondern nur eine einzige Frau. So aber fliegen "family & friends" der Kandidatinnen und Kandidaten allesamt und extra nach Los Angeles, um ihre Angehörigen zu überraschen.

Wobei: Überraschend ist nur die Überraschung der Überraschten, schliesslich ist die Familienzusammenführung doch ein ständiger und wichtiger emotionaler Programmpunkt der Show.

Emotional, aber in diesem Fall auch spannungsgeladen. Denn Kevin und Moritz tauschen ihr Zimmer gegen ein grösseres im Damen-Trakt, um mehr Platz mit ihren Angehörigen zu haben, sind aber wegen der dortigen Hygiene entsetzt. In einer kurzen Vorschau sieht man, wie Kevin das Problem offen anspricht: "Da war sogar ein Kackstreifen, Digger, in der Toilette!"

Klums cleverer Schachzug: Ein Ärgernis für den Zuschauer

Nun kann man natürlich argumentieren: Immerhin war er in der Toilette und nicht etwa an der Zimmerdecke. Dann könnte man zu Recht sagen: Ui, da ist was schiefgegangen. Aber die genauen Details erfährt man, sofern man das überhaupt möchte, erst "demnächst", es bleiben vorerst nur Bilder von sich empört rechtfertigenden Models und einem frustrierten Kevin. Diesbezüglich herrscht also Unklarheit. Und auch an einem anderen Punkt vertröstet Heidi Klum die Zuschauer auf später.

Denn nach dem Walk hat die Klum einen "spontanen" Einfall, den sie sogleich den Model-Angehörigen mitteilt: "Vielleicht könnt ihr mal die Entscheidung heute für mich übernehmen." Die Entscheidung, wer rausfliegt, bleibt natürlich bei der Klum, die Familien und Freunde sollen lediglich die eventuell schlechten Nachrichten überbringen und das zeugt von Klums Cleverness. Denn es ist natürlich reichlich schlau, den unangenehmen Part seines Jobs einfach an unbezahlte Hilfskräfte zu delegieren. Chapeau!

Aber Klum ist sogar noch viel cleverer, denn am Ende fliegt in dieser Folge natürlich niemand raus. So muss keine Mama ihrem Kind den Rausschmiss verkünden und ausserdem zieht sich so die Show noch ein bisschen, es muss ja trotzdem am Ende ein Topmodel rausspringen.

Doch was für die Models eine Erleichterung ist, ist für den Zuschauer ein Ärgernis, schliesslich hat man die Folge nun ganz umsonst gesehen. Wenn die Klum verspricht, ein Topmodel auszusuchen – dann soll sie das auch machen. So aber bleiben unter dem Strich nur haarige Techno-Aliens und das Versprechen auf einen Kackstreifen in der Toilette. Wäre doch wenigstens Harry Styles gekommen.