Nur drei Pflichtspiele war Erik ten Hag Trainer in Leverkusen, jetzt ist schon wieder Schluss. Der Niederländer hat sich bei der Werkself Stück für Stück ins Abseits manövriert und wurde am Ende ein Opfer seiner selbst.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Am Samstagabend machte noch folgende Episode die Runde in den sozialen Netzwerken: Ob aus Erik ten Hag nun denn schon Erik eight Hag geworden wäre? Im Sinne einer Uhr, die einen Countdown von zehn an herunterzählt. Und mittlerweile ist die Uhr für Cheftrainer ten Hag abgelaufen: Bayer Leverkusen hat die Reissleine gezogen.

Die Demission des Niederländers kam nach den Irrungen und Wirrungen der letzten Tage und Wochen nicht mehr überraschend, selbst wenn eine Entlassung nach nur drei Pflichtspielen einer neuen Saison nicht üblich erscheinen mag.

Aber ten Hag und Bayer 04: Das hat schon nach nur rund neun Wochen auf so vielen Ebenen nicht mehr oder noch nie gepasst, dass den Verantwortlichen nicht nur angesichts des verkorksten Saisonstarts kaum eine andere Wahl blieb, als sich selbst zu korrigieren.

"Diese Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen. Niemand hat sich diesen Schritt gewünscht. Doch die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass der Aufbau einer neuen und erfolgreichen Mannschaft in dieser Besetzung nicht zielführend gestaltet werden kann", wird Sportchef Simon Rolfes zitiert. Oder anders formuliert: Erik ten Hag war für die Herausforderungen bei Bayer eine komplette Fehlbesetzung.

Wie aufgescheuchte Hühner

Wie die Mannschaft in den ersten drei Partien – im Pokal bei Viertligist Sonnenhof-Grossaspach (4:0) und in der Liga gegen Hoffenheim (1:2) und Bremen (3:3) – aufgetreten ist, war meilenweit von dem entfernt, was die Werkself in den letzten zwei Jahren selbst als "Standard" definiert hatte.

Nahezu emotionslos liess Bayer die Heimniederlage gegen Hoffenheim über sich ergehen, um dann am vergangenen Samstag in Bremen in einer mehr als halbstündigen Überzahl einen Zwei-Tore-Vorsprung noch zu verspielen. Gegen einen Gegner in den Seilen, den ein Leverkusen der letzten beiden Spielzeiten vermutlich einfach abgeschossen hätte.

Stattdessen rannten die Spieler in Blau im Weserstadion in der letzten halben Stunde plus Nachspielzeit wie aufgeschreckte Hühner über den Hof, nicht in der Lage, so etwas wie eine nachvollziehbare Struktur und Ordnung an den Tag zu legen und den Gegner mit dem erwartbaren Ballbesitz in Überzahl einfach leerzuspielen.

Vielmehr war es dann so, dass Werder mit einem Spieler weniger immer noch mehr Ballbesitz generierte, fast schon zwangsläufig zu insgesamt zehn Torchancen kam und mit der letzten Aktion des Spiels noch den Ausgleich schaffte.

Andrich: "Jeder spielt sein eigenes Spiel!"

Es dürften nicht (nur) die beiden fahrlässig verspielten Punkte in Bremen gewesen sein, sondern die erschreckende Art und Weise, wie sich die Mannschaft ihrem Schicksal ergeben hatte. An eine Darbietung wie jene in der Schlussphase im Weserstadion muss man sich auf Leverkusener Seite sehr lange zurückerinnern, so schmachvoll und peinlich war die gezeigte Leistung.

Ein Spiel "Not gegen Elend" wollte der neue Kapitän Robert Andrich schon vor dem Niedergang in der Schlussphase erkannt haben. "Was dann passiert, ist Sinnbild unserer aktuellen Situation: Wir haben zu viele Leute, die sich mit anderen Sachen, zu viele, die sich nur mit sich beschäftigen. Und so sah das Spiel auch aus. Jeder hat für sich gespielt, jeder ist auf dem Platz rumgelaufen für sich alleine. Jeder spielt sein eigenes Spiel. So kannst du gegen keinen Gegner der Welt gewinnen!"

Was sich vordergründig wie eine Generalkritik an der Mannschaft anhörte, war aber auch ein – erneuter – Hilferuf Andrichs an seine Vorgesetzten und ein Signal. Schon in der Vorwoche hatte Andrich zwischen den Zeilen angedeutet, dass das Zusammenspiel zwischen Mannschaft und Trainer nicht passt.

Da monierte er ein "wildes Spiel", zu wenig Kontrolle und dass sich das Team den Gegner nicht zurechtlegen konnte. Alles Dinge, die unter Xabi Alonso zum Markenkern des Teams zählten und das oft zitierte "Laterkusen" mit zahllosen späten und wichtigen Toren erst ermöglichte. Auf die Frage nach dem Bremen-Spiel, ob die Spieler bestimmte Inhalte nicht umsetzen oder nicht wissen, was sie zu tun haben, liess Andrich wissen: "Es ist eine Mischung von beidem."

Dass es ten Hag selbst war, der Andrich erst vor ein paar Wochen zum neuen Kapitän bestimmt hatte, ist dabei nur eine kleine Pikanterie am Rande.

Ten Hags öffentliche Forderungen

Ten Hag jedenfalls hat sich nicht nur beim "alten" Kern der Mannschaft ins Abseits manövriert, sondern auch bei seinen Vorgesetzten. Rolfes war die treibende Kraft hinter ten Hags Verpflichtung, der Sportchef hielt lange die Füsse still. Obwohl ihm der Cheftrainer mehr als einmal öffentlich in die Parade gefahren ist. Schon im Trainingslager in Brasilien meldete ten Hag mit grossem Nachdruck weitere Transfers an, um den XXL-Umbruch bei der Werkself vorantreiben zu können.

Das kam damals schon nicht besonders gut an, blieb aber zumindest nach aussen ohne weitere Konsequenzen. "Vier oder fünf Spieler" forderte ten Hag dann nochmals Anfang August, erneut öffentlich und an Rolfes vorbei. Eine nächste, sehr bewusste Kompetenzüberschreitung des Trainers, der bei seiner letzten Station Manchester United, wie in England üblich, neben dem Cheftrainer auch eine Art Manager war – jedoch auch wissen musste, dass in der Bundesliga diese Geschäftsbereiche strikt voneinander getrennt sind.

Geschäftsführer Fernando Carro soll sich jedenfalls schon damals in seinen Vorbehalten gegenüber ten Hag bestätigt gefühlt haben. Dass weder von Carro noch von Rolfes zuletzt Unterstützung für den Cheftrainer formuliert wurde, war deshalb keine grosse Überraschung mehr.

Keine Beziehung zwischen Team und Trainer

Der Niederländer hat sich in den letzten Wochen von fast Allem und Jedem isoliert, erst seine Vorgesetzten verloren, dann grosse Teile der Mannschaft und seine wenigen verbliebenen Führungsspieler.

Als es in Bremen an die Ausführung eines Foulelfmeters ging, lieferten sich Patrik Schick und Ezequiel Palacios ein Wortgefecht und ein Gerangel um den Ball. Obwohl ten Hag seinen Mittelstürmer als Schütze Nummer eins definiert hatte, wollte sich Palacios auf dem Platz einfach über diese Order hinwegsetzen.

Auch das mag für sich eine kleine Episode gewesen sein, im Kontext aber passen Scharmützel dieser Art in ein völlig missratenes Gesamtbild. Zu diesem gehörte auch, dass sich die Mannschaft vom neuen Trainer nie so richtig mitgenommen gefühlt hat. Ten Hag war nach dem zwar harten und stringenten, aber eben auch hochdekorierten und angesehenen Alonso mehr eine 1B-Lösung, der keinen Draht zu seiner Mannschaft gefunden hat.

Der "Kicker" berichtet von einer minimalistischen Kabinenansprache vor dem Bremen-Spiel. Einen dürren Satz soll ten Hag an seine Mannschaft gerichtet haben, um sie für ein Bundesligaspiel einzustellen. Dass dann in der wilden Phase gegen Ende der Partie jegliche Einflussnahme von der Trainerbank verpuffte, war fast schon folgerichtig.

Rolfes reagiert rigoros und richtig

Das Kapitel "Erik ten Hag" wird in Leverkusen allenfalls als grosses Missverständnis in Erinnerung bleiben und es ist vor allen Dingen Sportchef Rolfes hoch anzurechnen, dass er in der prekären Phase nicht noch länger gezögert, sondern sofort den unvermeidbaren Schlussstrich gezogen hat.

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Auch auf die Gefahr hin, dabei selbst einige Schrammen abzubekommen. Ten Hag war Rolfes‘ Idee, die er nun nach ein paar Wochen schon wieder korrigieren musste und dabei auch Geld verbrannt und kostbare Zeit verspielt hat. Allerdings ist auch das eine Qualität, schnell und im Sinne des Klubs zu handeln.

Nun sollte Rolfes‘ nächster Schuss aber sitzen, wenn Bayer mit seiner runderneuerten Mannschaft ohne echte Hierarchie und einer klaren Spielidee nicht die Saisonziele schon nach wenigen Wochen verspielen will. Edin Terzic soll ein Kandidat sein. Ein Trainer, dem sie bei Borussia Dortmund sehr lange die Treue gehalten haben. Bis es am Ende dann doch nicht mehr weiterging.

Verwendete Quellen