Für die Schweiz ging es um Alles: Weiterkommen im Heimturnier oder war es das schon wieder für die Nati bei der EM? Der Gegner im letzten Gruppenspiel: ausgerechnet das punktgleiche Finnland, das hartnäckig kämpfte, den Schweizerinnen in Nichts unterlegen war und sogar in Führung ging. Doch die Nati blieb nervenstark und kam weiter – dank eines Treffers in der Nachspielzeit. Wie sie das geschafft haben.
Im Augenblick des Abpfiffs sank Riola Xhemaili auf die Knie, während alle Spielerinnen zu ihr rannten und sich auf sie warfen. Es bildete sich eine knallrote Traube, eine Siegestraube, bestehend aus den Schweizer Nationalspielerinnen. Selbst die sonst wenig emotionale Pia Sundhage vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
Die Schwedin hat geschafft, was niemandem vor ihr gelang: Die hat die Schweiz in das EM-Viertelfinale geführt. Ein 1:1 (0:0) genügte der Nati, um die K.o.-Runde des Turniers zu erreichen – die Tordifferenz ist um einen Treffer besser als die der Finninnen. Dabei war es eine Partie auf Messers Schneide, die sich in den letzten rund 20 Minuten des Spiels entschieden hatte. Nun geht es gegen Spanien oder Italien.
Über weite Strecken liess die Schweiz aber Spielkontrolle und ein cleveres Kombinationsspiel vermissen.
Auch Systemänderung bringt wenig: Nati verwertet die Chancen nicht
Der Partie war ihre Bedeutung lange nicht anzumerken. Beide Teams spielten mutig nach vorn, die Spielideen funktionierten aber jeweils nur mässig. Sundhages Elf liess im gewohnten 5-3-2 zu viele mutige Läufe der Finninnen zu, die in der ersten Halbzeit auch mehr Ballbesitz aufwiesen. Gleichzeitig nutzte die Nati ihre Tormöglichkeiten nicht. Bei Innenverteidigerin Viola Calligaris stimmte das Timing nicht (11.), Sydney Schertenleib scheiterte an Keeperin Anna Koivunen (13.), Svenja Fölmli an ihrer eigenen Einschätzung (13.), sie schoss daneben.
Sundhage veränderte ihre Formation nach der Pause in ein 4-4-2, sie rückte Aussenverteidigerin Iman Beney nach vorn auf den Flügel und stellte die erfahrene Ana Maria Crnogorcevic. Das Frankfurter Mittelfeld-Ass Géraldine Reuteler rückte auf die Sechs und immer weiter nach vorn ins Zentrum. Über diese drei Spielerinnen liefen nun viele Aktionen vors gegnerische Tor. Das Pressing und auch das Stellungsspiel funktionierten besser, wie etwa das sehenswerte Zusammenspiel von Leila Wandeler und Smilla Valotto zeigte (74.).
Die Jokerin sticht – die Dominanz zahlt sich aus
Ein unnötiges Foul im Strafraum von Viola Calligaris, die ihrer Gegnerin Emma Koivisto ein Bein gestellt hatte, führte zur späten Führung Finnlands (79.), aber nicht zum Blackout der Schweizerinnen. Während die Finninnen eine Abwehrspielerin mehr einwechselten, setzte Sundhage auf volle Offensivpower und brachte kurz nach dem Gegentor mit Alisha Lehmann und Riola Xhemaili zwei Angreiferinnen.
Der Chancenregen für die Gastgeberinnen vor prächtiger Heimkulisse mit mehr als 26.000 Zuschauern wurde stärker, Crnogorcevic hatte kurz vor Ende der regulären Spielzeit die grösste Chance. Die meiste Energie legte letztlich Jokerin Xhemaili auf den Platz, die nach feinem Zuspiel von Reuteler durch die Mitte aus etwa fünf Metern direkt vor dem Tor abzog (90.+2). "Ich kann noch gar nicht richtig realisieren, wie es genau passiert ist. Der Puls war sicher bei 200", beschrieb die Torschützin hinterher den Moment. Es zahlte sich also aus, hartnäckig zu bleiben.
Reuteler und Peng: Spielerinnen wie sie machen den Unterschied
Es war eine der letzten Szenen des Spiels: Livia Peng warf sich nach einem Freistoss mit allem, was sie hat, auf den Ball. Und rettete ihre Mannschaft vor dem Ausscheiden (90.+6). Schon zuvor hatte die 23-Jährige ihre Mannschaft vor dem vorzeitigen Untergang bewahrt. Etwa Summanens Freistoss kurz vor der Halbzeitpause, der mit ordentlich Kraft in den Strafraum flog, noch abgefälscht wurde und dann auf Pengs Tor flog. Sie sprang nach unten und hatte den Ball im Nachfassen (44.).
In diesem entscheidenden Spiel war Peng, die in diesem Sommer von Bremen zu Chelsea wechselt, die sichere Bank, auf die sich die Feldspielerinnen zu einhundert Prozent verlassen konnten. Wie auch auf Géraldine Reuteler: Die Frankfurterin startete auf der Sechs, gab im Mittelfeld den Takt, die Pässe, das Tempo an – wagte aber auch immer wieder den Weg nach vorn vors Tor (etwa 33.) oder beim entscheidenden 1:1 durch Xhemaili, bei dem sie dem Ball auflegte. Von der Vielseitigkeit und Omnipräsenz der 26-Jährigen profitierte letztlich die ganze Mannschaft.
"So ein Teamspirit": Die Schweizer Mannschaft wächst zusammen
Viel Kritik hatte es im Vorfeld gegeben – an Sundhage und an der Mannschaft. Die erfahrene Trainerin galt als zu hart trainierend und zu wenig kommunizierend, den Kader habe sie zu spät verkleinert. Die Mannschaft sei nicht reif genug, die vielen Niederlagen bestätigten den meisten diesen Eindruck. Nun: Die Nati belehrte ihre Kritiker. Und kämpfte. Und glaubte an sich. Das späte Führungstor Finnlands war das beste Beispiel dafür. "Es war natürlich bitter", sagte Reuteler später im ZDF darüber, "aber ich habe gespürt, wir glauben trotzdem daran. Ich habe es in den Augen der Spielerinnen gesehen, dass wir es noch schaffen."
Die Schweizer Nationalspielerinnen haben es in den drei Gruppenspielen gelernt, eine Resilienz aufzubauen und als Einheit zusammenzuwachsen. Ausfälle, wie der schwerwiegende von Routinier Ramona Bachmann, fallen nun nicht mehr auf. Erfahrenere Spielerinnen (Crnogorcevic, Wälti, Reuteler) spielen eine ebenso wichtige Rolle wie Nachwuchsstars (Wandeler, Beney, Schertenleib). "Ich bin so überwältigt, so stolz auf das Team, wir haben so einen Teamspirit gehabt", schwärmte Reuteler. Im Viertelfinale droht Weltmeister Spanien, doch Kapitänin Lia Wälti zeigt die richtige Attitüde schon einmal auf: "Wir haben nichts zu verlieren."
Verwendete Quellen
- Live- und Nachberichterstattung zu Schweiz – Finnland im ZDF, 10.07.25
- SRF.ch: Sundhages Plan und Händchen: flexibel, resilient, bereit
- dpa