Lamine Yamal schiesst den FC Barcelona zur Meisterschaft und krönt damit eine beispiellose Saison – die für den Teenager aber schon bald zur Gewohnheit werden könnte. Der Weg zum Welt-Star scheint längst geebnet.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Für das erste grosse Ding musste Lamine Yamal nur 16 Jahre alt werden. Im Sommer letzten Jahres krönte sich die spanische Nationalmannschaft zum Europameister, besiegte dabei nacheinander Kroatien, Italien, Deutschland, Frankreich und England. In jedem dieser Spiele von Beginn an dabei: Lamine Yamal.

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Fünf Scorerpunkte (ein Tor, vier Assists) sammelte Yamal, in jedem der vier K.o.-Spiele der Furja Roja wurde er zu einem entscheidenden Faktor für den Sieg. Es war das erste Mal, dass sich der Teenager der Weltöffentlichkeit zeigen durfte und nach diesen vier Wochen im deutschen Sommer war klar: Hier spielt kein kommender Superstar. Lamine Yamal ist längst einer.

Der Start war nicht so einfach

Sein Antritt, das Dribbling, die Abschlussstärke mit dem linken Zauberfuss, seine überbordende Kreativität: Die Vergleiche mit Leo Messi liegen auf der Hand - und sind doch so abwegig. Als Messi damals den Weltfussball eroberte, war die Mannschaft des FC Barcelona ein erstes Mal schon auf der Höhe ihres Schaffens.

Messi drang ein in eine funktionierende Einheit, angeleitet von Weltgrössen des Fussballs: Carles Puyol, Xavi, Deco, Ronaldinho, Samuel Eto’o und eines 21-jährigen Emporkömmlings namens Andres Iniesta. Messi konnte in deren Schatten schnell gedeihen und sich eingliedern, der Triumph in der Champions League 2006 war ein erstes sichtbares Zeichen nach aussen und der Beginn der knapp zehnjährigen Dominanz des europäischen Fussballs.

Ein Wunderkind, das längst keines mehr ist: Lamine Yamal.
Ein Wunderkind, das längst keines mehr ist: Lamine Yamal. © IMAGO/Ulmer/Teamfoto/IMAGO/Markus Ulmer

Lamine Yamal wird zwar als Mitglied des Meister-Ensembles der Blaugrana von 2023 geführt, seine erste "richtige" Saison mit dem FC Barcelona verlief aber vergleichsweise enttäuschend: nur Platz zwei in der Liga, mit grossem Abstand auf Meister Real Madrid, dazu das Aus in der Champions League schon im Viertelfinale nach einem denkwürdigen 1:4 zu Hause gegen Paris.

Lamine Yamal spielte sich nicht in seinem Klub ins Rampenlicht, sondern auf der noch grösseren Bühne der Europameisterschaft. Und zeigte da schon der Welt, welchen Einfluss er in einer funktionierenden Mannschaft haben kann.

Sechs Titel in zehn Monaten

Seit der Übernahme von Hansi Flick und dessen Trainerteam beim FC Barcelona schiesst Yamal förmlich durch die Decke. Aus 16 Scorerpunkten (sieben Tore, neun Assists) in 50 Pflichtspielen sind kurz vor Ende der laufenden Saison 42 geworden (17 Tore, 25 Assists) und das in 53 Spielen. Das gab es noch nie beim FC Barcelona.

Yamal ist die Speerspitze der neuen Barca-Generation: Blutjung, über die Massen talentiert und doch schon als Teenager erfahrener als andere Spieler mit Mitte 20. Neulich hat Yamal sein 100. Pflichtspiel für den FC Barcelona absolviert, auf dem Weg zu diesem kleinen Meilenstein sammelte er förmlich im Vorbeigehen noch ein paar Titel ein: gleich zweifach den für den besten U-21-Spieler Europas, den EM-Titel, die Supercopa, den spanischen Pokal und nun die Meisterschaft mit Barca. Sechs Titel innerhalb von nur zehn Monaten. Und, in Barcelona fast die wichtigste Währung: Er hat in einer Saison mit seiner Mannschaft gleich viermal den Clasico gewonnen.

Die einzige herbe Enttäuschung war das dramatische Ausscheiden in der Königsklasse vor ein paar Tagen: Gegen Inter lieferten sich Barca und Lamine Yamal zwei regelrechte Schlachten um den Einzug ins Finale. Im Hinspiel führte Yamal seine Mannschaft nach einem 0:2-Rückstand zurück in die Spur und letztlich zum 3:3.

Im Rückspiel - obwohl ohne direkte Torbeteiligung - suchten seine Mitspieler immer wieder den 17-Jährigen, als es mal wieder galt, einen Rückstand aufzuholen. 125 Ballaktionen sammelte Lamine Yamal, sein kongenialer Partner auf der linken Seite Raphinha "nur" 78.

Mit einem seiner zahllosen Dribblings hatte er in der Nachspielzeit die Entscheidung auf dem Fuss, scheiterte aber am Pfosten. Der Rest ist für immer Geschichte. Und es gehört auf dem Weg nach ganz oben auch dazu, mit Rückschlägen umzugehen.

Noch ein Sensationstor gegen Espanyol

Natürlich fehlt es ihm in einigen Momenten noch an einer gewissen Reife, ist Yamals Spiel vielleicht sogar eine Spur zu geradlinig und draufgängerisch. "Ich erkenne Spielsituationen früher als andere Spieler", sagt er dazu fast schon entschuldigend. Dann nimmt er sich eben das Risiko für ein nächstes gewagtes Dribbling oder einen dieser Aussenristpässe, die im Rücken der Verteidigungslinie in den gegnerischen Strafraum segeln wie gefährliche Fluggeschosse.

"Am ersten Gegenspieler kommt er immer vorbei. Was dann passiert, weiss man nie so genau", sagt sein Mitspieler Pedri, auf seiner Position im zentralen Mittelfeld ebenso ein Hochbegabter wie Yamal. In diesen Worten schwingt ein gesundes Mass an Bewunderung mit und wer Yamals letztes Tor gesehen hat, am Donnerstagabend gegen Espanyol, der kann das nur zu gut nachvollziehen.

Mit dem ersten Kontakt zog Lamine Yamal da von der rechten Seite nach innen, so schnell, dass der Gegenspieler nicht mithalten konnte. Der Schuss aus 23, 24 Metern war dann so hart und platziert, dass ihn kein Torhüter der Welt halten könnte. Das Tor ebnete Barca den Weg zur Meisterschaft, danach legte er noch für seinen Teamkollegen Fermin Lopez mundgerecht auf.

Es ist schon länger kein Zufall mehr, dass dieser junge Kerl auch die grössten und wichtigsten Spiele fast im Alleingang entscheiden kann. Und es ist eine schlechte Nachricht für alle seine Kontrahenten, aber eine sehr gute für alle neutralen Fussball-Fans: In ein paar Wochen wird Lamine Yamal erst 18 Jahre jung - es bleibt also noch sehr viel Zeit für noch mehr Fussballkunst.

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