Niclas Füllkrug erlebt in der Premier League eine harte Saison. Das hat sportliche Gründe, denn West Ham United bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Allerdings war Füllkrug auch lange verletzt. Aktuell kämpft er sich zurück - auch mit Blick auf die Nationalmannschaft.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Eine Wutrede sparte sich Niclas Füllkrug diesmal. Auch wenn der 32-Jährige im Grunde fast jede Woche zu einem verbalen Rundumschlag ausholen könnte. Denn West Ham United blickt auf eine völlig verkorkste Saison in der Premier League. Ähnlich wie Füllkrug selbst – wenn auch aus anderen Gründen. Doch bei dem 32-Jährigen ist Besserung in Sicht. Zum Glück, denn Füllkrug hat in dieser Saison noch ein grosses Ziel.

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Da trifft es sich gut, dass er am vergangenen Wochenende beim 1:1 gegen Tottenham Hotspur mal wieder in der Anfangsformation stand. Von Trainer Graham Potter gab es im Anschluss ein Lob. "Er hat gut mitgespielt und uns vorne einen klaren Anspielpunkt gegeben. Niclas hat seinen Teil zu einer insgesamt ordentlichen Leistung beigetragen - vor allem in der ersten Halbzeit - und gibt uns zusätzlich eine Option für längere Bälle", sagte Potter bei der BBC.

"Guardian" kritisiert Füllkrug harsch

Der "Guardian" schrieb schonungslos, dass Füllkrug in den 80 Minuten gegen Tottenhams Reserve-Innenverteidiger zeigte, "dass er dem Tempo in der Premier League nicht gewachsen ist". Das Portal "Claret and Hugh" hingegen meinte, West Ham sei eine viel bessere Mannschaft, wenn Füllkrug spiele. "Allerdings war von dem grossen Deutschen individuell nicht viel zu sehen."

So oder so: Für Füllkrug geht es darum, endlich wieder seinen Rhythmus zu finden. Denn für ihn ist es "ein mega schwieriges Jahr", wie er im März im Rahmen des Abschiedsspiels für den früheren Bremer Diego laut n-tv erklärte.

Erst fehlte ihm die Vorbereitung, weil er nach der EM von Borussia Dortmund zu West Ham wechselte und dort nach anderthalb Wochen bereits das erste Ligaspiel bestritt. "Ich habe mich dann relativ früh verletzt, war lange raus und als ich gerade ein bisschen in Tritt war und meine ersten zwei, drei richtig guten Spiele gemacht habe gegen Manchester City und gegen Brighton, habe ich mich wieder sehr gross verletzt", fasst Füllkrug selbst sein Pech zusammen.

Erst war es im September eine Achillessehnenreizung, im Januar dann eine Oberschenkelverletzung. Ganze 17 Pflichtspiele absolvierte er deshalb bislang nur, wobei er drei Tore schoss und zwei weitere vorbereitete. Seit Anfang April ist er nach der zweiten Pause zurück, konnte aber auch nicht verhindern, dass West Ham seit nunmehr acht Spielen in Folge ohne Sieg ist.

West Ham United in der Dauerkrise

Und das ist das Problem des Deutschen: Der ambitionierte Klub, der vor der Saison für Füllkrug fast 30 Millionen Euro an den BVB gezahlt und im Sommer insgesamt 144 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben hat, ist drei Spieltage vor Schluss 17. In Abstiegsgefahr befindet man sich nur deshalb nicht mehr, weil drei andere Teams noch deutlich schlechter waren.

Füllkrug kam nach seiner Verletzung zurück in eine Mannschaft, der es an Homogenität, aber auch an Willen und Einsatz mangelt. Sie hat die Saison im Grunde seit Wochen abgeschrieben. Das sprach Füllkrug Ende April nach einem 1:1 gegen den abgeschlagenen Tabellenletzten FC Southampton an und kritisierte Einstellung und Motivation in sehr deutlichen Worten. "Die Motivation, tut mir leid, wir waren scheisse", betonte er bei "Sky Sports" und meinte, er sei "sehr wütend".

Es ist aber zumindest diskutabel, ob sich Füllkrug mit seiner Ehrlichkeit einen Gefallen getan hat. Die Reaktionen auf die Wutrede waren gemischt. Sein Trainer Graham Potter blieb diplomatisch, als er einräumte, Füllkrug habe ein Recht auf seine Meinung. Ohne Kritik liess er den 32-Jährigen aber nicht davonkommen. "Aus meiner Sicht könnte ich manchmal ehrlich sein, wie ich mich wirklich fühle", sagte Potter. Er glaube aber nicht, dass es für die Spieler hilfreich sei. "Ich glaube auch nicht, dass es für den Verein hilfreich ist. Wir müssen uns also alle unserer Verantwortung bewusst sein."

Füllkrug spricht Fans aus der Seele

Bei vielen Fans hatte Füllkrug aber einen Nerv getroffen, indem er den Finger in die offenkundig vorhandene Wunde legte. Dabei hatte der Klub Anfang des Jahres bereits reagiert. Trainer Julen Lopetegui musste gehen, im Februar dann auch der Technische Direktor Tim Steidten. Der hatte Füllkrug verpflichtet und verteidigte diese Entscheidung zuletzt im Podcast Klick & Rush. "Ich wusste, dass Niclas in die Liga und in unsere Mannschaft passen würde. Ausserdem haben wir jemanden gesucht, der auch in der Kabine führen kann", sagte Steidten: "Ich kenne ihn, seit ich bei Werder Bremen war. Ich würde diesen Transfer wieder tätigen, weil ich einfach von seiner Qualität überzeugt bin."

Teilt der Verein diese Überzeugung immer noch? Im März bezeichnete Füllkrug Spekulationen über eine mögliche Rückkehr in die Bundesliga als "teilweise echt wild. Die kommen aus dem Nichts. Deswegen will ich zu diesen Spekulationen gar nichts sagen, das macht keinen Sinn." Sein Vertrag in London läuft noch bis 2028.

Auch wenn die miserable Saison nach weiteren personellen Veränderungen im Kader schreit, dürfte ein vorzeitiger Abschied tatsächlich kein Thema sein, denn seine Präsenz, Kopfballstärke und Mentalität machen ihn nach wie vor wertvoll. Und das nicht nur auf dem Platz, sondern auch für die Kabine. Dass er sich nach Rückschlägen zurückkämpfen kann, hat er in seiner Karriere sowieso schon mehrfach bewiesen.

Comeback in der Nationalmannschaft?

Wichtig wird es sein, dass er sportliche Akzente schnell für sich sprechen lässt. Denn Füllkrug hat noch ein grosses Ziel in dieser Saison: Im Juni steht für die deutsche Nationalmannschaft das Final Four in der Nations League an. Am 4. Juni trifft die Mannschaft von Bundestrainer Julian Nagelsmann im Halbfinale auf Portugal.

Beim DFB-Team hat sich in Füllkrugs Abwesenheit zuletzt der Gladbacher Tim Kleindienst im Sturmzentrum in den Blickpunkt gespielt, auch Jonathan Burkardt (FSV Mainz 05) ist eine Alternative. Füllkrug muss sich erst einmal zwischen beiden einreihen, ist aber eine ernsthafte Option für den Kader. Zuletzt war er im September 2024 dabei.

Mit West Ham spielt Füllkrug in der Premier League noch bei Manchester United (15.), gegen Nottingham Forest (6.) und bei Ipswich Town (18.). Drei Spiele bleiben ihm daher, um noch einmal nachhaltig auf sich aufmerksam zu machen und die verkorkste Saison ein Stück weit versöhnlich zu beenden. Damit er sich weitere Wutreden sparen kann.

Verwendete Quellen