Laura Dahlmeier gehört zu Deutschlands erfolgreichsten Wintersportlerinnen aller Zeiten. Auch nach dem Karriereende hat sich die ehemalige Biathletin den sportlichen Ehrgeiz bewahrt, jagt dabei jedoch nicht mehr Goldmedaillen, sondern lieber Gipfel nach. Im Interview gibt Dahlmeier Einblicke, wie wichtig mentale Gesundheit für sie ist und welches kuriose Mantra sie durch extreme Distanzen bringt.

Ein Interview

Da fühlt man sich noch gut, weil man am Vortag laufen war und dann sitzt man Laura Dahlmeier gegenüber und kommt sich plötzlich sehr, sehr unsportlich vor. Denn was die ehemalige Biathletin regelmässig am Berg leistet, ob auf dem Fahrrad, am Klettersteig oder auf abseitigen Trails, da kann man als Otto Normalsportlerin kaum mithalten.

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Die Berge spielen schon immer eine riesige Rolle in Dahlmeiers Leben, dort fühlt sie sich wohl, kann sich auf sich selbst besinnen und sich die Kraft holen, die sie für ihre sportlichen Höchstleistungen braucht. Denn obwohl sie ihre Biathlon-Karriere bereits 2019 beendet hat, sucht Dahlmeier immer noch nach neuen Herausforderungen. Nur geht es ihr dabei nicht mehr um Goldmedaillen.

Frau Dahlmeier, kürzlich war Muttertag, Vatertag steht demnächst an. Ihre Eltern haben Sie schon sehr früh für die Berge begeistert. Wie dankbar sind Sie ihnen dafür?

Laura Dahlmeier: Ich bin absolut dankbar dafür, wie ich aufgewachsen bin. Ich komme aus Garmisch-Partenkirchen, hatte die Berge immer im Blick. Meine Eltern haben mich früh in die Berge mitgenommen. Und vor allem haben sie mich auch schon sehr früh viel ausprobieren lassen. Das habe ich sehr positiv in Erinnerung und ich habe da ganz viel mitnehmen dürfen. Ich glaube, das macht schon ein bisschen das aus, was ich heute bin. Natürlich macht nicht immer alles Spass als Kind, aber ich glaube, da kann man sowieso nicht alles richtig machen als Elternteil. (lacht)

Das kann ich bestätigen. Gibt es irgendeinen Berg, zu dem Sie eine wirklich intensive Beziehung haben? Einen Lieblingsberg, zu dem Sie immer wieder zurückkommen?

Es gibt schon ein paar spezielle Plätze. Das Besondere an diesen Plätzen ist erstens, dass es bei uns daheim ist, dass ich viele gute Erinnerungen daran habe und dann aber auch, dass da nicht so viele andere Leute sind.

Deshalb wollen Sie die Namen der Berge auch nicht verraten?

Genau, sonst sind die Plätze vielleicht bald nicht mehr so schön. Das sind solche Berge, wo eben kein richtiger Weg rauf geht, sondern nur ein Pfad oder eine Klettertour, wo du ein bisschen schauen musst. Berge, wo du im Idealfall allein bist oder halt nur mit deinen Freunden. Das sind für mich schon wichtige Orte, das waren sie auch während der aktiven Karriere. Da bleibt das Handy im Tal unten oder es ist aus und da bin ich für mich allein, da kann ich mich zurückziehen, da kann ich einfach ich selbst sein.

"Ich habe noch nie so eindeutig darüber nachgedacht, was mentale Gesundheit eigentlich ist. Aber ich glaube, ich merke schon recht gut, wenn sie mal nicht mehr da ist."

Laura Dahlemeier

Rückzug auf sich selbst ist auch oft ein Thema, wenn es um mentale Gesundheit geht. Wir treffen uns hier gerade beim Rethink-Event von Garmin, wo es genau darum geht. Was bedeutet für Sie mentale Gesundheit?

Ich glaube, ich habe noch nie so eindeutig darüber nachgedacht, was mentale Gesundheit eigentlich ist. Aber ich glaube, ich merke schon recht gut, wenn sie mal nicht mehr da ist; wenn es mir mal nicht so gut geht; wenn es vielleicht auch dauerhaft nicht so gut geht. Ich merke auch in meinem Umfeld, dass immer mehr Menschen davon betroffen sind. Es liegt schon viel an uns selber, dass wir versuchen, eine gute Balance zu finden. Für mich ist es so: Es gibt stressige Phasen. Da ist viel Druck, viel von aussen. Und dann braucht es immer wieder diese Entspannungsphasen. Phasen, in denen ich meinen Akku wieder aufladen kann, da habe ich meinen Safe Space, oder eine Art Insel für mich, kann für mich aktiv werden. Das ist eine Erfahrung, die ich in meiner Sportlerkarriere mitgenommen habe. Biathlon ist ja die beste Sportart: Anspannung, Entspannung. Auf der Strecke Vollgas geben, am Schiessstand konzentriert sein, maximaler Druck und sich trotzdem von diesem auch nicht vereinnahmen lassen. Es geht darum, die Scheibe zu treffen und nicht Angst davor zu haben, sie nicht zu treffen.

"Da geht es nicht um eine Goldmedaille" – Was Dahlmeier heute motiviert

Lässt sich das auch auf vielleicht die eine oder andere Tour am Berg übersetzen?

Doch, absolut. Gerade bei den alpinen Mehrseillängen-Touren, den grossen wilden Touren hast du immer eine Zeit, wo du am Standplatz bist und deinen Partner sicherst. Und das sind für mich schon immer die besten Entspannungsphasen gewesen. Ich bin absolut ab vom Schuss, ich habe kein Handy dabei, ich habe null Ablenkung. Ich kann auch gar nichts anderes machen. Da bin ich absolut in dem Moment, in dieser Entspannungsphase. Und dann zählt es natürlich, hundertprozentig bei der Sache zu sein, wenn dann die Schlüsselstelle kommt. Ich bin, was weiss ich, fünf Meter über dem letzten Hackl. Ich weiss nicht genau, schaffe ich den? Wie komme ich zu dem Griff da rauf? Wie muss ich das machen? Das finde ich spannend, da geht es gar nicht um irgendwelche Ziele von aussen oder um eine Goldmedaille, bei der die ganze Welt zuschaut, sondern das sind individuelle Geschichten. Ich habe mir die Tour ausgesucht, ich möchte die gerne machen und jetzt geht es darum: Schaffe ich das mit meinen Fähigkeiten? Beziehungsweise, was hat es denn für Konsequenzen, wenn ich es nicht schaffe? Ich muss da schon wissen, was ich mache.

Was glauben Sie, wie wichtig ist es tatsächlich, also mental gesund zu sein, um solche Touren machen zu können?

Ich glaube, es ist essenziell. Wir haben gerade schon das Thema Risiko angeschnitten. Ich muss mir ganz realistische Ziele setzen, ich muss gut planen, ansonsten bin ich mit falschen Fähigkeiten zur falschen Zeit am falschen Ort und brauche die Bergrettung, wenn es denn eine gibt.

Laura Dahlmeier: "Angst ist total wichtig"

Haben Sie manchmal Angst?

Ich glaube, Angst ist total wichtig. Es ist einfach ein Gefühl, das man ein Stück weit braucht. Wenn die Angst zu stark und lähmend wird und in Panik ausartet, dann glaube ich, ist sie fehl am Platz, vor allem am Berg. Dann muss ich schauen, wie komme ich möglichst sicher wieder aus der Situation raus oder was kann ich machen, damit das überhaupt nie auftritt. Aber wenn ich überhaupt keine Angst habe – oder ich sage gerne das Wort Respekt – , wenn ich keinen Respekt habe, dann kann ich halt auch einfach fahrlässig in irgendwelche Touren einsteigen. Zu Free-Solo-Kletterern wird ganz oft gesagt: Hängt ihr gar nicht an eurem Leben? Und die antworten dann: Doch, sehr wohl. Sie überlegen sich deswegen noch viel genauer, kann ich das machen oder nicht. Deshalb ist auch Angst wichtig, um sich ehrlich damit auseinanderzusetzen: Was kann denn passieren, was gibt es denn für Konsequenzen, was habe ich für ein Gefühl, ist heute ein guter Tag oder nicht, fühle ich mich dem heute gewachsen? Und wenn dem nicht so ist, dann auch ehrlich zu sagen, hey, heute geht es nicht. Die Berge laufen ja nicht davon.

"Im Biathlon war es so, dass absolute Gleichberechtigung herrscht, sprich gleiche Preisgelder, gemeinsam auf Trainingslager oder auf die Wettkämpfe, gleichberechtige Fernsehzeiten. Das habe ich als sehr angenehm und schön empfunden."

Laura Dahlmeier

Als Frau im Sport gehört es fast schon zum Schicksal dazu, dass man immer darüber reden muss, dass man Frau ist und Sport macht. Nervt Sie das ein bisschen?

Ich glaube, es ist auf der einen Seite Chance und Vorteil, auf der anderen Seite empfinde ich es schon auch manchmal ein bisschen als nervig. Im Biathlon war es so, dass absolute Gleichberechtigung herrscht, sprich gleiche Preisgelder, gemeinsam auf Trainingslager oder auf die Wettkämpfe, gleichberechtige Fernsehzeiten. Das habe ich als sehr angenehm und schön empfunden. Und auch bei meinen anderen Tätigkeiten, die ich mache, wird auf eine ganz natürliche Art und Weise die Gleichberechtigung ausgelebt. Wenn ich mit der Bergwacht unterwegs bin, oder als Bergführerin geht es darum, dass wir sicher sind, dass ich meine Gäste sicher führe oder dass ich die Patienten sicher rette. Und da ist es total egal, ob ich eine Frau bin oder ein Mann. Ich muss einfach die Stelle schaffen, überwinden, klettern. Ich muss das gleiche an Gepäck tragen. Ich glaube, jeder Mensch hat unterschiedliche Fähigkeiten. Und das würde ich gar nicht nur auf das Geschlecht runterbrechen. Ich finde aber, wenn man über echte Gleichberechtigung redet, ist es auch nicht ganz richtig, wenn man das Thema "Frau sein" so krass hervorhebt.

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Weil Sie gerade gesagt haben, beim Biathlon wird diese Gleichberechtigung eigentlich ganz natürlich gelebt: Sie waren kürzlich bei den Frauen des FC Bayern. Die haben ja sehr wohl noch ein Thema mit Gleichberechtigung. Worüber haben Sie sich ausgetauscht?

Da habe ich miterlebt, wie cool auch ein Mannschaftssport ist. Und es war total inspirierend, mit so vielen motivierten, coolen Frauen auf so engem Raum zu sein. Gleichberechtigung war da gar nicht so das Thema. Also schon irgendwie, aber nicht dieses "Wir Frauen und die Männer". Ich glaube, die Vergleiche sind halt schwierig. Es ist so, wie es ist. Man soll das machen, was man machen kann. Aber es bringt ja nichts, sich dann immer aufzuregen oder an Sachen aufzureiben, die man eh nicht ändern kann. Und für die Spielerinnen des FC Bayern heisst das jetzt ganz konkret, dass sie versuchen, ihr Bestes zu geben, ihren Sport bekannt zu machen, zu zeigen, wie cool der ist. Aber sie können nicht die Welt komplett von heute auf morgen verändern. Ich glaube, es sind die kleinen Schritte, an denen man sich freuen soll oder darf und dann liegt es nicht immer ganz in der eigenen Hand, was letztendlich daraus gemacht wird.

Männer und Frauen werden natürlich trotzdem immer sehr gern verglichen, gerade im Sport. Dann wird gesagt, die Männer leisten ja viel mehr. Oder dass Frauen da ja nicht mithalten können. Im vergangenen Jahr kam jedoch eine Studie raus, die gezeigt hat: Je weiter die Strecke, desto schneller werden die Frauen und desto geringer wird der Unterschied und irgendwann überholen die Frauen die Männer. Überrascht Sie das?

Eigentlich erscheint es mir fast ein bisschen logisch, aber dass es dann so eindeutig ist, damit hätte ich jetzt auch nicht gerechnet. Ich kann mich an unsere Anatomie-Stunde in der Uni erinnern, wo es auch um Muskelleistung ging: Wenn man jetzt vom Bizeps ausgeht, dann ist die Maximalkraft um was weiss ich wie viel höher bei den Männern. Aber diese Dauerhaltefähigkeit, also statische Kraftausdauer ist bei Frauen besser. Der Dozent hat das dann pragmatisch erklärt: Die muss ja auch das Kind auf dem Arm tragen. Aber genau auch da hat man schon gesehen, wenn es um diese Dauerleistung geht, sind die Unterschiede eigentlich nicht vorhanden. Dass bei Läufen die Frauen irgendwann sogar schneller sind als die Männer, je länger der Lauf geht, das hat mich dann doch überrascht.

Sie haben einen 100-Kilometer-Lauf gemacht. Gibt es über so eine lange Distanz irgendwann einen Punkt, an dem es leichter wird? Und was hat das vielleicht auch mit dem Kopf zu tun?

Ich glaube, dass man bei so ganz langen Ausdauergeschichten recht schnell mal der Punkt erreicht, wo man denkt "Ich kann nicht mehr, das ist super anstrengend, warum mache ich das eigentlich, mir tut alles weh".

Das beruhigt mich, dass Sie solche Gedanken auch kennen.

Ja, dann habe ich aber festgestellt, es wird nicht schlimmer. Ob ich jetzt 100 Kilometer Radl fahre, oder 200, oder 300, oder 400, es tut immer weh, wieder in den Sattel zu steigen. Aber es wird nicht schlimmer. Und wenn man das mal akzeptiert hat, glaube ich, kann man diesen Schmerz oder diesen Zweifel vielleicht auch wieder gehen lassen und dann wird es leichter.

Gutes Mantra.

Das schon, aber man muss seine Schmerzen schon auch ernst nehmen. Eine gesunde Körperwahrnehmung ist natürlich auch wichtig.

Über die Gesprächspartnerin

  • Laura Dahlmeier hat im Biahtlon alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Sie ist zweimalige Olympiasiegerin und siebenfache Weltmeisterin. 2019, nach einer schwierigen von Krankheiten geprägten Saison, erklärte Dahlmeier jedoch ihren Rücktritt vom Biathlon. Seitdem sucht sie sich neue Herausforderungen in den Bergen. Im Oktober 2024 sorgte sie beispielsweise für eine neue Frauenbestzeit auf dem Ama Dablam, einem Sechstausender in Nepal. Zusätzlich arbeitet sie als Bergretterin, Bergführerin und Botschafterin für den Fitnessuhrenhersteller Garmin.