Die Formel 1 hat Sommerpause, viele Fragen sind jedoch offen. Wir haben uns mit Ex-Teamchef Günther Steiner über die Hamilton-Krise, den Red-Bull-Absturz und die Lage im Titelkampf unterhalten.
Die Formel 1 mag sich in die Sommerpause verabschiedet haben. Das bedeutet aber nicht, dass es deshalb keine Themen mehr gibt. Denn die Diskussionen gehen munter weiter. Schliesslich sind zahlreiche Fragen offen.
War der Wechsel von Lewis Hamilton zu Ferrari ein Fehler? Ist der siebenmalige Weltmeister tatsächlich nutzlos, wie er beim letzten Rennwochenende verzweifelt erklärte? Was passiert im Titelkampf? Eskaliert es zwischen Oscar Piastri und Lando Norris? Und wie lange braucht Red Bull, um wieder in die Erfolgsspur zu finden?
Bevor die Königsklasse Ende August in Zandvoort (im Free-TV auf RTL und auf Sky und bei uns im Liveticker) aus der Pause zurückkehrt, haben wir uns mit dem Ex-Teamchef und heutigen RTL-Experten Günther Steiner über die Lage in der Formel 1 unterhalten.
Herr Steiner, wie nutzlos ist
Günther Steiner: Nutzlos ist er nicht, aber im Moment bringt er nicht das, was man sich von ihm erwartet hat. Er ist mit sich selbst unzufrieden. Und auch die öffentliche Erwartung riesig, vielleicht zu gross. Fakt ist: Er kommt bei Ferrari nicht in die Gänge. Der direkte Vergleich mit dem Teamkollegen ist immer der aussagekräftigste. Und da sieht man:

Am Anfang konnte man das ja noch mit der Eingewöhnung erklären – neues Team, neuer Ingenieur, neue Abläufe. Aber warum läuft es jetzt immer noch nicht?
Er hat sein Selbstvertrauen verloren. Wenn du nicht mehr an dich glaubst, kannst du keine Leistung bringen. Man muss sich nur erinnern: Als sein Wechsel zu Ferrari bekannt wurde, war das ein riesiger Hype. Auch für mich. Der siebenmalige Weltmeister bei der Scuderia, das klang wie ein Märchen. Und natürlich hat er sich selbst auch viel davon versprochen. Aber wenn die Realität dann nicht mit den Erwartungen mithält, verliert man das Vertrauen in sich selbst.
Er wird nächstes Jahr 41. Ist das Alter auch ein Faktor?
Alter spielt immer eine Rolle. Ich merke es ja selbst. (lacht) Aber er ist topfit. Klar: Schneller wird man mit dem Alter nicht. Aber er kann absolut noch ein paar Jahre auf gutem Niveau fahren. Aber wenn du nicht mehr die Freude hast, wenn du merkst, du kämpfst nur noch, dann bringt’s nichts. Dann ist es besser, zu sagen: Ich hab’s probiert, es hat nicht funktioniert und ich höre auf.
Hamiltons Wechsel zu Ferrari ein Fehler?
Wie gross ist der Einfluss des Autos auf Hamiltons Probleme?
Natürlich spielt das Auto immer eine Rolle. Aber wir sind in der Formel 1, und ein Top-Fahrer muss mit dem umgehen können, was er bekommt. Wenn ein Auto in bestimmten Bereichen schwierig zu fahren ist, dann liegt es am Fahrer, sich anzupassen, nicht umgekehrt. Das Auto ist gut. Ich würde da keine Entschuldigung für Lewis suchen.
War der Wechsel zu Ferrari ein Fehler?
Man weiss nicht, wie es bei Mercedes weitergegangen wäre. George Russell ist dort sehr stark. Vielleicht hätte sich Lewis auch dort schwergetan. Aber grundsätzlich war der Schritt mutig und ich fand ihn gut. Jetzt klappt es sportlich nicht. Aber das macht den Wechsel nicht automatisch zum Fehler. Manchmal muss man auch etwas wagen. Und selbst wenn es nicht aufgeht, kann man sagen: Ich habe es versucht.
Wie sehen Sie seine Zukunft? Bleibt er über das Jahr hinaus?
Ich denke, die Sommerpause wird für ihn ein Moment der Reflexion. Vielleicht kommt er nach der Pause lockerer zurück und die Leistung steigt. Vielleicht aber auch nicht und dann könnte ich mir gut vorstellen, dass er am Jahresende sagt: "Das war's. Ich tue mir das nicht noch ein Jahr an." Er hat ausserhalb der Formel 1 viele Interessen, er ist eine Marke für sich. Viele Fahrer brauchen die F1 als Plattform. Lewis braucht das nicht mehr. Und genau das macht es für ihn auch leichter, einen Schlussstrich zu ziehen.
Könnte das neue Reglement 2026 ihn womöglich noch reizen?
Mit den neuen Ground-Effect-Autos hatte Lewis von Anfang an Schwierigkeiten. Und 2026 kommen neue Autos, neue Motoren und keiner weiss, wer dann stark ist. Vielleicht sagt er: Das nehme ich noch mit. Aber wenn auch das nicht funktioniert, dann ist Schluss. Wenn auch nicht von jetzt auf gleich. Sollte er aufhören wollen, würde er das rechtzeitig kommunizieren, damit das Team Zeit hat, Ersatz zu finden.
"Zähne zusammenbeissen, alles geben, aber sich nicht zu sehr verkopfen. Nicht ständig überlegen, was andere denken oder sagen."
Was würden Sie ihm als Teamchef raten?
Ganz klar: Zähne zusammenbeissen, alles geben, aber sich nicht zu sehr verkopfen. Nicht ständig überlegen, was andere denken oder sagen. Wenn du Charles nicht schlagen kannst, dann versuche, an ihm dran zu bleiben. Der grösste Feind ist der innere Druck. Und im Moment versucht er zu viel. Er will es erzwingen. Aber wenn du weisst, die Leistung ist gerade nicht voll da, dann mach einfach das Beste draus und du wirst sehen: Lockerheit, Vertrauen, Rhythmus kommen zurück.
War es richtig, dass Ferrari den Vertrag mit Teamchef Fred Vasseur verlängert hat?
Das war die richtige Entscheidung. Es dauert Jahre, bis sich ein Team eingespielt hat. Und: Ferrari steht aktuell auf Platz zwei in der Konstrukteurswertung. Vielleicht entspricht es nicht ganz den Ansprüchen im Ferrari-Management, die vom WM-Titel träumen, aber realistisch betrachtet ist das Team stark. Und jetzt Fred rauszuwerfen? Das wäre falsch. Dann kommt der Nächste, sagt, er muss alles umbauen, und braucht wieder zwei Jahre Schonfrist. Fred muss jetzt die Chance bekommen, 2026 mitzugestalten. Erst dann wird man sehen, ob es funktioniert.
Ferrari setzt auf Kontinuität. Hätte Red Bull das auch tun sollen – und an Christian Horner festhalten?
Die Unruhe im Team war ja nicht neu. Das hat sich über eineinhalb Jahre aufgebaut, es kam immer wieder etwas Neues dazu. Und irgendwann hat man entschieden: Jetzt muss Ruhe rein. Die sportliche Leistung ist nicht mehr da wie früher,
Wie lange dauert es denn, ein Team wie Red Bull wieder an die Spitze zu führen?
Das kann Jahre dauern. Red Bull ist derzeit eher auf dem Weg nach unten als nach oben. Mekies hat einen riesigen Job vor sich. Gute Leute sind gegangen und haben sich auf andere Teams verteilt. Jetzt muss er versuchen, neue Top-Leute zu gewinnen, und das ist schwer. Und ausserdem baut Red Bull mit Ford den Motor selbst. Das ist ein gewaltiges Projekt. Im ersten Jahr wird das ganz sicher nicht reibungslos laufen. Sie werden 2026 im vorderen Feld dabei sein, aber nicht ganz vorne. Der Rückstand zur Spitze wird bleiben.
So ist Verstappen am richtigen Ort
Hat es Sie überrascht, dass Max Verstappen trotzdem bleibt?
Nein, denn ich glaube, dass es eine sehr strategische Entscheidung von ihm ist. Max weiss: Bei Red Bull hat er die Option, Ende 2026 auszusteigen. Das gibt ihm maximale Flexibilität. Wenn Red Bull überraschend stark bleibt, ist er genau am richtigen Ort. Wenn nicht, schaut er, wer vorne ist und wechselt. Wenn Mercedes ab 2026 stark ist, wird er dort einen mehrjährigen Vertrag bekommen. Ein Wechsel jetzt mit einem langfristigen Vertrag wäre riskanter.
Nico hätte viel mehr erreichen können, wenn er zur richtigen Zeit im richtigen Auto gesessen hätte. Ironisch gesagt: Er hat ein besonderes Talent dafür, sich immer das falsche Team auszusuchen. Wenn Nico einen Vertrag unterschreibt, sollte man vielleicht kein Geld mehr auf das Team setzen, aber das meine ich liebevoll. Er war mehrfach ganz nah dran an einem Top-Cockpit, und es hat dann doch nicht geklappt. Umso schöner, dass er jetzt endlich sein erstes Podium hat, das hat er sich absolut verdient.

Könnte Hülkenberg doch nochmal die Chance auf ein Top-Cockpit bekommen?
Ausschliessen kann man es nicht, aber es müsste etwas Aussergewöhnliches passieren. Von sich aus wird niemand ein WM-Projekt auf Hülkenberg ausrichten, dafür ist er schlicht zu alt. Aber wenn sich kurzfristig eine Lücke auftut, jemand mit Erfahrung gebraucht wird, von dem man genau weiss, was man bekommt, dann ist Nico genau der Richtige.
Wie bewerten Sie die aktuelle Entwicklung bei Sauber? Läuft der Übergang besser als gedacht?
Was sie über das Jahr gemacht haben, ist beeindruckend. Sie haben riesige Fortschritte erzielt. Die Richtung stimmt. Für nächstes Jahr bauen sie ihren eigenen Motor. Und wie bei Red Bull gilt: Das ist verdammt schwer. Aber Audi hat Erfahrung, das ist eine echte Ingenieursfirma, eine der besten der Welt. Sie haben gute Leute, sie kennen sich mit Antrieben aus. Trotzdem ist die Formel 1 nochmal eine andere Welt. Aber was sie bisher gezeigt haben, stimmt mich optimistisch, dass es besser laufen kann als gedacht.
Ist in Sachen Titelkampf das Ding für McLaren durch, oder greift nach der Sommerpause noch jemand an?
Da greift keiner mehr an. Das Ding ist entschieden, was die Titelchancen betrifft. Auch die Konstrukteurs-WM ist durch, da wird nichts mehr passieren.
Und wer hat die besseren Titel-Chancen: Oscar Piastri oder Lando Norris?
Für mich ganz klar Oscar Piastri. Er ist konstanter, ruhiger, macht weniger Fehler. Lando ist auch stark, keine Frage, aber es schleichen sich immer wieder kleine Schnitzer ein. Piastri hat mit Berater Mark Webber jemanden an seiner Seite, der selbst auf Top-Niveau gefahren ist. Der kennt das Geschäft, war Teamkollege von Sebastian Vettel. Der weiss, wie man mit Druck umgeht, und Piastri hört ihm zu. Piastri ist mental sehr reif. Und das macht ihn für mich zum Favoriten in diesem McLaren-Duell.
Crash der Titelkandidaten? "Kann jederzeit passieren"
Wann knallt es zwischen Norris und Piastri so richtig?
Das kann jederzeit passieren. Es hat ja mehrfach schon fast gekracht. Da war oft Glück im Spiel. Und Lando macht einfach zu viele kleine Fehler. In Kanada wollte er durch eine Lücke, die nicht da war. Es war reines Glück, dass Oscar keinen Plattfuss kassiert hat. Deshalb sage ich: Dass es zwischen den beiden irgendwann kracht, ist fast unausweichlich.
Sollte McLaren eingreifen – Stichwort Teamorder? Oder weiter freies Racing zulassen?
Empfehlungen der Redaktion
Ich bin froh, dass sie sie frei fahren lassen. Das ist doch das, was wir sehen wollen. Beide sind auf Augenhöhe, wie willst du da einen zur Nummer zwei machen? Das wäre der totale Motivationskiller. Die Formel 1 lebt auch von Emotionen. Wenn man jetzt sagt, einer muss den anderen unterstützen, dann verliert man einen Teil der Magie. Sie gewinnen die Konstrukteurs-WM sowieso. Also: frei fahren lassen!
Über den Gesprächspartner
- Günther Steiner war von 2014 bis Anfang 2024 zehn Jahre lang Teamchef bei Haas. Bereits zuvor war er in leitenden Funktionen bei den F1-Teams von Red Bull und Jaguar aktiv. Der 60-Jährige wurde vor allem durch die F1-Doku "Drive to Survive" einem grossen Publikum bekannt. Inzwischen arbeitet er als Experte unter anderem für RTL.