Vor nicht allzu langer Zeit gehörte der Nationalspieler zu den Verkaufskandidaten beim FC Bayern. Nun ist er plötzlich wichtig wie noch nie.

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Bayern-Trainer Vincent Kompany vollbringt beim FC Bayern gerade ein kleines Wunder. Er verwandelt abgeschriebene Spieler in unverzichtbare Leistungsträger. Serge Gnabry ist das jüngste Beispiel einer bemerkenswerten Metamorphose, die mehr über moderne Spielerführung verrät als über taktische Finessen.

Noch vor wenigen Monaten galt Gnabry als Verkaufskandidat. Sportvorstand Max Eberl musste ihm persönlich versichern, dass der Verein nicht plane, ihn abzugeben. Heute, nach dem Treffer zum 5:0 gegen Hamburg, spricht derselbe Eberl von einem "elementar wichtigen Spieler". Diese Kehrtwende ist kein Zufall, sondern das Ergebnis eines Trainer-Stils, der aus der Not eine Tugend macht.

"Ich bin gerade im Flow und habe Selbstvertrauen", sagt Gnabry nach dem HSV-Spiel. Ein Satz, der vor einem Jahr undenkbar gewesen wäre. Damals kämpfte er mit Knieproblemen und seiner Rolle im Team. Die Verkaufsgerüchte taten ihr Übriges. Doch Kompany sah in ihm keinen Problemfall, sondern ungenutztes Potenzial.

"Er hat ein unglaubliches Gespür für die Jungs, die lange da sind."

Sportvorstand Max Eberl über Trainer Vincent Kompany

Was der belgische Trainer anders macht? Er behandelt etablierte Spieler wie Neuzugänge. "Er hat ein unglaubliches Gespür für die Jungs, die lange da sind", erklärt Eberl. "Sie waren, das meine ich nicht negativ, verbrannt. Er hat quasi aus diesen alten Spielern Neuzugänge gemacht." Bei Goretzka funktionierte das bereits, bei Sané und Coman in der Vorsaison in gewisser Weise auch.

Nun profitiert Gnabry. Sein Vorteil: Er ist nicht auf die eine Position in der Offensive festgelegt, sondern kann über die Flügel, aus der Halbposition, hinter der Spitze und, wenn’s sein muss, als Mittelstürmer angreifen. Das ist bei einem Kader, der dünn besetzt ist und in aller Regelmässigkeit Ausfälle zu beklagen hat, ein Wettbewerbsvorteil.

Diese Herangehensweise ist revolutionär für einen Verein, der seine Stars traditionell eher verschleisst als regeneriert. Kompany versteht, dass Spieler mit Geschichte beim Verein nicht nur sportliche, sondern auch emotionale Führung brauchen. Er gibt ihnen das Gefühl, wieder bei Null anfangen zu können, ohne ihre Vergangenheit zu ignorieren.

Gnabrys Vertrag läuft noch bis 2026. Diese zusätzliche Zeit gibt beiden Seiten Spielraum. Der 30-Jährige muss sich nicht mehr beweisen, er kann einfach spielen. "Dass Serge ein aussergewöhnlicher Spieler sein kann, das hat er jetzt nachhaltig bewiesen", betont Eberl.

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Die wahre Leistung Kompanys besteht darin, dass er nicht nur individuelle Karrieren wiederbelebt, sondern dabei die Team-Chemie verbessert. "Wir haben ein blindes Verständnis", schwärmt Gnabry. Ein Kollektiv aus wiedererweckten Einzelkönnern. Die wertvollsten Transfers finden manchmal im eigenen Kader statt. Man muss die Spieler nur neu entdecken.

Über den Autor

  • Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fussball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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