Der FC Bayern setzte sich im Achtelfinale der Klub-WM mit 4:2 gegen Flamengo Rio de Janeiro durch, weil sich das riskante Spielsystem von Vincent Kompany auszahlte und Konrad Laimer das Spiel offensiv und defensiv prägte.

Eine Analyse
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Er konnte nicht mehr. Als die reguläre Spielzeit von 90 Minuten vorüber war, litt Konrad Laimer offenbar unter Schmerzen und musste ausgewechselt werden. Verwunderlich war dies nicht: Der Rechtsverteidiger des FC Bayern München hatte beim 4:2 (3:1) gegen Flamengo Rio de Janeiro extrem viel für die Mannschaft gearbeitet.

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Konrad Laimer
Von Krämpfen geplagt: Konrad Laimer gegen Ende des Spiels gegen Flamengo. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Marta Lavandier

Der Österreicher erbrachte den Beweis dafür, dass ein Aussenverteidiger das Offensivspiel und Defensivspiel einer Mannschaft gleichzeitig prägen kann. Gleich an zwei Treffern des FC Bayern war er entscheidend beteiligt.

In der 41. Minute tauchte er nach einem Pass von Michael Olise im gegnerischen Strafraum auf. Die Brasilianer konnten den Ball zwar hastig klären. Doch dieser landete daraufhin vor den Füssen von Leon Goretzka, der aus der Distanz zum 3:1 traf.

Goretzka lobt Laimer: "Super nachgesetzt"

Beim 4:2 durch Harry Kane, der in der 73. Minute die Vorentscheidung erbrachte, sorgte Laimer für den entscheidenden Ballgewinn. Als sich Gegenspieler Luiz Araújo per Dribbling befreien wollte, stoppte Laimer diesen und beförderte den Ball zu Kimmich, der wiederum die Vorlage für Kane spielte. "Konrad hat super nachgesetzt", lobte Goretzka seinen Mitspieler.

Auch defensiv war Laimer der Unterschiedsspieler und gewann 62 Prozent seiner Zweikämpfe. Ein Paradebeispiel ereignete sich kurz nach dem Gegentreffer zum 2:3: Nach einem Einwurf in der gegnerischen Hälfte leistete sich Dayot Upamecano einen Fehlpass. Weil die komplette Mannschaft des FC Bayern aufgerückt war, hatte Flamengo eine gute Kontergelegenheit. Doch auch hier war Laimer zur Stelle, er bekam einen Fuss an den Ball und vereitelte den Angriff.

Zwei Treffer kamen durch hohe Ballgewinne zustande

Der Sieg war nicht nur sinnbildlich für die Qualität von Laimer, sondern auch für das Spielsystem von Vincent Kompany. Das hohe Pressing und Gegenpressing erwies sich als Erfolgsfaktor.

"Beide Mannschaften wollen hoch pressen, beide Mannschaften gehen ins Eins-gegen-Eins", sagte Goretzka. "Uns war klar, dass das ein sehr physisches Spiel wird. Die haben schon Bock, hinten rauszuzocken. Das machen sie auch gut, aber es gibt im Umkehrschluss natürlich die Möglichkeit, hohe Ballgewinne zu erzielen."

Tatsächlich war das Spielsystem des FC Bayern darauf ausgelegt, frühzeitig Bälle zu gewinnen und dadurch Chancen zu kreieren. Dies gelang nicht nur beim Treffer zum 4:2, als Laimer dem Gegenspieler den Ball abnahm. Auch der Treffer zum 2:0 war auf das Spielsystem mit hochstehenden Verteidigern zurückzuführen.

In diesem Fall war es Innenverteidiger Upamecano, der den Ball tief in der gegnerischen Hälfte gewann. Dieser landete dadurch bei Kane, der schnell den Abschluss suchte und dadurch mit einem abgefälschten Distanzschuss zum 2:0 traf.
Klar ist allerdings auch: Hätte Upamecano den Ball nicht gewonnen, hätte er hinten als Verteidiger gefehlt. Die Gefahr eines gefährlichen Angriffs von Flamengo wäre gross gewesen. Eine Situation, die zeigt, wie nahe Chance und Risiko in dem Spielsystem von Kompany beieinander liegen.

"Wir haben sehr gut angefangen, haben sehr hoch Druck gemacht und waren erfolgreich", sagte Kompany nach dem Spiel. "Wir haben viel richtig gemacht und jetzt sind wir in der nächsten Runde. Wir müssen die Bedingungen immer berücksichtigen. Ich habe mich nach 20 Minuten gefragt, ob wir das über 90 Minuten so machen können."

Bayern hatte weniger Ballbesitz und weniger Torschüsse

Tatsächlich war dies in der Hitze von Miami nicht möglich. Der FC Bayern leistete sich speziell nach dem zweiten Treffer eine Schwächephase. "Wir hatten sofort das Glück auf unserer Seite", sagte Manuel Neuer. "Vielleicht haben wir nach dem 2:0 gedacht, dass es so weiterläuft. Aber man muss gegen solche Mannschaften aufpassen."

Der FC Bayern verteidigte plötzlich tiefer und gab das hohe Pressing auf. Der Gegentreffer zum 1:2 war die logische Folge. Die Südamerikaner hatten über die komplette Spielzeit 51 Prozent Ballbesitz und ein Torschussverhältnis von 12:8. Für den FC Bayern war es deshalb teilweise ein ungewohntes Spiel.

"Das ist eine Mannschaft, die den Ball haben will. Das haben wir auch gemerkt. Sie haben viel Ballbesitz gehabt. Das haben wir nicht so oft", sagte Neuer. "Sie haben nach vorne viel investiert. Wir haben versucht, unseren Spielstil weiterzuspielen und Chancen zu kreieren. Dann war dieser Killerinstinkt da, der uns gegen Benfica ein bisschen gefehlt hat."

Gnabry war als Musiala-Ersatz unscheinbar

Doch nicht alle Spieler des FC Bayern erwischten einen guten Tag. Weil der angeschlagene Jamal Musiala noch nicht fit genug für ein Spiel über 90 Minuten war, musste Serge Gnabry dessen Part im zentralen offensiven Mittelfeld einnehmen.

Serge Gnabry blieb gegen Flamengo erschreckend unauffällig
Serge Gnabry blieb gegen Flamengo erschreckend unauffällig. © IMAGO/Brazil Photo Press/WILLIAM VOLCOV

Normalerweise ist ein Spieler dieser Position der Dreh- und Angelpunkt seiner Mannschaft. Im Falle von Gnabry war das Gegenteil der Fall. Der Offensivspieler hatte in der ersten Halbzeit die wenigsten Ballkontakte aller Bayern-Spieler. "Gnabry fällt mir heute gar nicht auf", sagte der frühere Bayern-Profi Thomas Helmer, der das Spiel als Experte von Sat.1 begleitete.
Nach 72 Minuten wurde Gnabry für Musiala aus dem Spiel genommen. Er bekam bis dahin weder einen Torschuss noch eine Torschussvorlage zustande und gewann nur 29 Prozent seiner Zweikämpfe.

Umso wichtiger wäre es für den FC Bayern, dass Musiala im Viertelfinale der Klub-WM am Samstag gegen Paris Saint-Germain wieder von Anfang an auf dem Platz steht.

Teaserbild: © IMAGO/Andrey Heuler/M.i.S.