Einen wie Thomas Müller hat es schon lange nicht mehr gegeben, vielleicht sogar noch nie. Jetzt tritt der Bayern-Star zumindest vorläufig ab. Und wir erinnern uns an schöne, skurrile und emotionale Momente.

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Es kommt nicht so oft vor, dass ein Fussballspieler vereinsübergreifend die Herzen vieler Fans erreicht. Auf den sich zwar nicht alle, aber doch sehr viele einigen können, der trotz des Ruhms immer auch noch einer von uns ist, mit dem man leiden und lachen kann - selbst als Anhänger einer anderen Mannschaft.

Mehmet Scholl war so ein Typ der Neuzeit, vor ihm Rudi Völler, der Kaiser natürlich auch, oder Uwe Seeler. Thomas Müller hat sich längst in die Liste gespielt, parodiert, gefeixt. Der Zusatz "Unikat" haftet ihm an und tatsächlich ist Müller einer, dessen durchschnittliche Normalität in seinem Auftreten so erfrischend anders ist und war als die meisten seiner Berufskollegen.

Nun tritt Müller - zumindest vorerst - von der grossen Bühne der Bundesliga ab. Der Weg bei seinem FC Bayern ist zu Ende, nachdem schon die Reise mit der deutschen Nationalmannschaft vor ein paar Monaten zu Ende gegangen war. Was bleibt, sind jede Menge schöne, skurrile, emotionale Momente.

Balljunge auf dem Podium

Der 3. März 2010 war ein geschichtsträchtiger Abend - nur konnte das damals noch niemand ahnen. Deutschland hatte Argentinien zu einem der letzten Testspiele vor der anstehenden Weltmeisterschaft in die Münchener Allianz Arena eingeladen und zwei Debütanten im Kader: Toni Kroos und Thomas Müller.

Kroos durfte seine Premiere in der Startelf feiern und wurde später durch eben jenen Müller ersetzt. Es war der Beginn zweier Weltkarrieren auf der Weltbühne. Der Beste aller Zeiten war zufällig auch da: Diego Maradona, argentinisches Nationalheiligtum und damals Trainer der Albiceleste.

Das Spiel blieb in der Nachbetrachtung eine Petitesse, nicht aber die Minuten danach: Während Lukas Podolski in der Mixed Zone einem Journalisten an die Wäsche wollte, wurde der für die Pressekonferenz auserkorene Thomas Müller brüsk wieder vom Podium verscheucht - von Diego Maradona.

Offenbar war zu dem noch nicht ganz durchgedrungen, dass Müller wenige Momente zuvor noch auf dem Platz versucht hatte, die 0:1-Niederlage abzuwenden. Geschweige denn, dass Maradona diesen jungen Burschen wieder erkannte. Vielmehr war die Hand Gottes - deutlich zu spät und mit einem privaten Pressesprecher zur Pressekonferenz erschienen - erzürnt darüber, dass sich hier rotzfrech ein Balljunge einfach so neben ihm aufs Podium setzen durfte.

Bayern-Fans mit klarer Botschaft an Diego Maradona. © imago images/Bernd Müller/imago sportfotodienst via www.imago-images.de

Der deutsche Medienchef Harald Stenger entspannte die Situation, indem er Müller kurzerhand in die erste Reihe neben die wartenden Journalisten setzte. Als Maradona seine kargen Ausführungen beendet hatte und schimpfend den Pressesaal wieder verliess, war dann endlich Müller dran.

Gruss nach Hause

Rund drei Monate später hatte der Balljunge im Achtelfinale der WM in Südafrika gerade die Engländer aus dem Turnier geschossen, mit zwei Treffern beim 4:1-Sieg in Bloemfontein hatte Müller jedenfalls einen gewaltigen Anteil am deutschen Sieg gegen den Erzrivalen.

Während die Engländer in der Mixed Zone von einer gefühlten Hundertschaft heimischer Journalisten zum Teil grob verbal attackiert wurden und die Schlagzeilen auf der Insel erwartbar vernichtend sein würden, fand Müller noch ein wenig Zeit für einen lieben Gruss in die bayerische Heimat.

Dort hatte Müller 200 Liter Freibier ins Pfarrhaus in Pähl schaffen lassen, damit das Dorf auch anständig feiern konnte. Und liess es sich dann im ARD-Interview nicht nehmen, auch eine kleine Botschaft zu senden. "Darf ich noch jemanden grüssen?", fragte Müller und wartete die Antwort von Moderator Claus Lufen gar nicht erst ab. "Liebe Grüsse an meine beiden Omas und den Opa!"

Die arme Kolumbianerin

Nach dem Triumph im WM-Finale von Rio 2014 torkelten die deutschen Spieler durch die Mixed Zone. Müller hatte Bastian Schweinsteiger an seiner Seite, als noch ein paar der obligatorischen Interviews zu erledigen waren. Weil Müller im Finale seinen fünf WM-Toren kein weiteres hinzufügen konnte, wurde James Rodriguez mit sechs Treffern Torschützenkönig des Turniers.

Der Feier-Bayer beim WM-Sieg. © imago/Laci Perenyi/Laci Perenyi

Was wiederum eine findige kolumbianische Journalistin zur Nachfrage bei Müller verleitete: Was der denn davon halte, dass er den "Goldenen Schuh" nun knapp verpasst hatte. "Des interessiert mi ois net, der Scheissdreck. Weltmeister samma! Den Pott hamma!", rief Müller der sichtlich verdutzten Dame zu. "Den scheiss Goldenen Schuh kannst' dir hinter die Ohren schmier‘n!"

Trick 17

Apropos WM: Auf dem Weg zum Titel hatte die deutsche Mannschaft ein besonders heikles Spiel zu überstehen: das Achtelfinale gegen Algerien. Mehrmals stand die Mannschaft gegen renitente Algerier vor einem Gegentor, das Aus schon in der ersten K.o.-Runde des Turniers drohte.

Zeit für einen Spezialeinsatz, dachte sich Müller offenbar und wählte bei einem Freistoss von Toni Kroos ein Ablenkungsmanöver der etwas anderen Art: Müller stolperte vor der algerischen Mauer einfach bewusst auf den Rasen, sprintete dann aber hinter die gegnerischen Linien und erwartete Kroos‘ Zuspiel. Genial!

Unfreiwillige Komik: Müllers Freistossfinte © imago/Moritz Müller/imago sportfotodienst

Nur war offenbar Passgeber Kroos derart verblüfft, dass der Ball in der gegnerischen Mauer hängen blieb. Was der ganzen Aktion eine unfreiwillige Kreisklassen-Komik verlieh und deshalb nicht zu einem Meisterstück der WM-Geschichte wurde.

Der Telefon-Trick

Tricksereien aller Art gehören bei Müller offenbar immer mal dazu, was auch eine Episode nach der Rückkehr aus dem Trainingslager in Dubai dokumentierte: Als Fans und Journalisten in der Empfangshalle am Flughafen auf Autogramme und den einen oder anderen kurzen Plausch warteten, ermächtigte sich Müller des bei Spielern allseits beliebten Handy-Tricks.

Wer keine Lust auf Interviews in der Mixed Zone hat, hält sich einfach das Mobiltelefon ans Ohr und simuliert ein wichtiges Telefonat, nach dem Motto: Eigentlich gerne, aber ich hab hier ein dringendes Gespräch. Sorry! Müller kokettierte und nahm sich und die Kollegen doppelt auf den Arm: Ans Ohr hatte er sich nicht sein Telefon geklemmt, sondern seinen Reisepass. Mit wem er damit telefoniert haben will, ist bis heute ein Geheimnis ...

Megafon-Müller

Training an der Säbener Strasse, die Kollegen Javier Martinez, Xabi Alonso und Holger Badstuber übten in einer kleinen Spielform. Plötzlich lautes Gebrüll durch ein Megafon, wie es die Ultras in der Kurve nutzen. Müller kommentierte das Trainingsspielchen in der Live-Situation, rannte plötzlich auf den Platz und nahm Alonso den Ball vom Fuss.

Kurzes Dribbling, präziser Schuss ins lange Eck, drin. Und ein Jubel wie der eines südamerikanischen TV-Kommentators nach einem Tor.

Der "Wir leben noch"-Müller

Es war der Morgen nach dem Finale dahoam. Die wohl schwersten Stunden in der langen Geschichte des FC Bayern und vielleicht auch im Fussballleben von Thomas Müller. Der hatte die Tür zum Champions-League-Sieg gegen Chelsea mit seinem Tor kurz vor Schluss schliesslich erst meilenweit aufgestossen, das anschliessende Drama dann aber nur noch von der Bank aus verfolgen können.

"München war tot", sollte Bastian Schweinsteiger später in der Doku "Generation Wembley" sagen und gefühlt traf dies auch für den gesamten FC Bayern zu. Der Erste, der die Lebensgeister wieder weckte, der sofort in die Zukunft blickte und eine Rund-SMS an die Teamkollegen schickte, war Thomas Müller.

Tenor: Jetzt mag alles beschissen sein. Aber wir stehen wieder auf und dann holen wir uns den Pott eben in der neuen Saison. Der Ausgang ist bekannt: Mit dem Triple nur zwölf Monate später schrieb der FC Bayern Geschichte.