Als herausragende Promi-Kolumnistin muss man auch mal raus aus seiner Komfortzone, findet Marie von den Benken – und wagt sich für den neuen satirischen Wochenrückblick nach Mallorca.
Die grössten journalistischen Jahrhundertwerke entstanden, als Reporter sich von ihren Schreibtischen gelöst und getraut haben, sich dorthin zu begeben, wo die echten Geschichten spielen. Dahin, wo Texte entstehen können, die nicht in einer Wohlfühloase entstanden sind. Nicht dort, wo es reicht, ein bisschen Internet-Recherche zu betreiben, eine Idee zu adaptieren, einen Trend zu kopieren, auf den man aufspringen kann, und das Ganze dann mit einer guten KI-App hübsch lesbar zu machen.
Kurz gesagt: dahin, wo es wehtut. Also, im journalistischen Sinne, nicht im Sinne von: Wo man
Und da ich mich in meiner grenzenlosen Bescheidenheit natürlich in einer journalistischen Ahnenreihe mit Investigativ-Koryphäen wie
Warum fasziniert der Promi-Ballermann so – und was verrät das über deutsche Urlaubsmentalität?
Mein Flieger von Berlin nach Palma de Mallorca dauert knapp drei Stunden und geht mittwochmorgens um 5:55 Uhr. Die ersten "Ausziehen! Ausziehen!" Schlachtrufe einer Achtergruppe offenbar partysüchtiger und bereits leicht angetrunkener Jünglinge mit lustigen Capital-Bra-Anti-Ghetto-Frisuren und Cro-Gedächtnishosen ertönen bereits in der Flughafenlounge des Berliner Flughafens, dem modernsten Drehkreuz der Welt. Oder, na ja: Brandenburgs.
Als wir unser heutiges Lufttransportmittel endlich besteigen dürfen, schaltet die exemplarische Mallorca-Standard-Touristen-Gruppe einen weiteren Feiergang der Vorfreude hoch. Die akkurat blondierten Flugbegleiterinnen der Hochglanz-Fluglinie Eurowings haben nicht mal ihre Instruktionen beendet, wie man sich zu verhalten hat, sollte das Flugzeug versehentlich notwassern, da sind die acht Hobbytenöre, hauptberuflich vermutlich Verantwortliche für die Ergebnisse der PISA-Studie, bereits jeweils viermal erstaunlich textsicher "Scheiss drauf, Mallorca ist nur einmal im Jahr", "Schatzi, schenk mir ein Foto" und "Mama Laudaaa" durch.
Googelt man kurz im für 24 Euro zugebuchten On-Board-Wlan, das etwa über die Bandbreite eines 1-kb-Modems aus 1997 verfügt, wer die Interpreten dieser Jahrhundert-Hits sind, erhält man Einblick in eine Welt, die sogar für Fans des "ZDF-Fernsehgarten" zuweilen zu skurril wirkt:
Aber das ist ja auch meine Aufgabe. Rausgehen in die echte Welt. Auch, wenn ich mit ernsthaftem Journalismus etwa so viel zu tun habe wie
Boarding Completed
In den Reihen vor mir macht sich bei einer Reisegruppe Ü65, phonetisch vermutlich dem Rheinland zuzuordnen, bereits erste Panik breit. Würde das autorisierte Bordpersonal der Rummeltruppe aus dem Berliner Umland auf Fussballclub-Jahresabschlussfahrt gestatten, während des gesamten Flugs ihre Kehlen wund zu singen?
Songs, in denen Vokabeln wie "Scheisse" oder "hässlich" vorkommen, sind bei dieser Klientel nicht sonderlich en vogue. Man spürt förmlich, wie die rüstigen Rentner hier im Sangria-Eimer-Bomber nach Palma ein gepflegtes "Fiesta Mexicana" oder wenigstens ein "Marmor, Stein und Eisen bricht" herbeisehnen. Doch da können sie lange warten, denn Lorenz Büffel ist kein Drafi Deutscher. Aber das passt, denn ich bin auch keine Oprah Winfrey.
Sie sehnen sich also vergeblich. Marmor, Stein oder Eisen bricht heute nicht. Das Einzige, was vermutlich noch während des Fluges bricht, bin ich: Neben mir auf 12B setzt sich zielsicher ein offensichtlich allein reisender Mittvierziger, der zu seinen orangen Shorts und hellblauen Socken in ausgewetzten Plastiksandalen ein neongrünes Shirt mit der Aufschrift "Hol mir mal ein Bier, Du wirst schon wieder hässlich" kombiniert.
Aus seinem Brustbeutel fischt er eifrig zwei Pilsdosen, drapiert sie wie Kunstwerke auf dem Klapptisch vor ihm und macht einige umständliche sitzpositionsrelevante Bewegungen, durch die mir als Sitznachbarin schnell bewusst wird: Er riecht, als hätte er in der Parfumabteilung des KaDeWe den Inhalt jedes verfügbaren Probeflakons inhaliert. An dieser Stelle ein kurzer Gruss an das Bodenpersonal von Eurowings, die unten am Schalter die Sitzplätze verteilt haben. Vielen Dank! Genau mein Humor! Däpp, Däpp Johnny Däpp ihr alle, echt jetzt.
Bitte beachten Sie, dass alle Eurowings-Flüge Nichtraucherflüge sind
Ich versuche, mich mit Noise-Cancelling-Kopfhörern gegen das aktuell intonierte "Du machst alle Männer schwach, meine Kleine, schuld daran sind Deine endlos langen Beine" zu wehren und simuliere einen Kälteanfall, um mich mit meiner wie einen Schal um den halben Kopf gewickelten Jacke vor den Parfum-Exzessen meines Nebenmannes zu schützen. Der Kopfhörer ist sehr sperrig, er wirkt nicht nur schallisolierend, sondern, wie ich hoffe, irgendwie auch als physische Barriere.
Die Stewardess wirkt genervt, weil ich mich pflanzlich basiert ernähre und weder ihr Schinken- noch ihr Käsesandwich probieren möchte, und auch die Damen vor mir (zwei Freundinnen aus Köpenick, die auf Mallorca gemeinsam ihre praktisch parallel vollzogenen Scheidungen feiern möchten, wie später das halbe Flugzeug wird erfahren dürfen) schauen mich mit einem Gesichtsausdruck an, der vermutlich "Ist die bescheuert, ist doch im Preis mit drin?!" bedeuten soll. In Köpenick lässt man nichts anbrennen und so bestellen sie um 06:42 Uhr, kurz nachdem das Flugzeug seine optimale Flughöhe erreicht hat, zwei Piccolos. Prost.
Uneilig: Geboren, um zu trödeln
Die schönsten 10 Minuten einer Flugreise sind immer die letzten. Die, wenn der Flieger bereits gelandet ist und die besonders eiligen Zeitgenossen gazellenartig aus ihren Sitzen sprinten, um als erste die Gepäckklappen zu öffnen, sich mit 50 anderen Schnellstartern, die vermutlich in der Flughafenhalle am Aeropuerto de Son Sant Juan einen dringenden Termin haben, und sich dichtgedrängt im Gang zwischen übergewichtige Leiber in Urlaubsvorfreude zu quetschen. "Seelen aneinander reiben" würde Hartmut Engler von "Pur" das wohl nennen.
Lange bevor das Flugzeug seine endgültige Parkposition eingenommen hat, renken sie sich dann beinahe die Schultern aus, um in diesem dichten Gedränge an ihr Handy zu gelangen, das sie natürlich bei der ersten Bodenberührung der Maschine sofort eingeschaltet hatten. Erreichbarkeit ist wichtig. Und den Damen und Herren aus der Ballermann-Fraktion geht es nicht mal um schicke Rollfeld-Selfies. Nein. Es geht darum, direkt nach der Landung nacheinander alle verfügbaren Tanten, Onkels und Nachbarn anzurufen, um zu verkünden, dass man sicher gelandet ist: "Nee, sind noch im Flieger, aber schon gelandet. War super Flug, ich ruf' dann an, wenn ich gleich im Hotel bin".
"Gleich im Hotel" heisst auf Mallorca bei Pauschaltouristen übrigens zumeist: drei Stunden am Flughafen in nicht klimatisierten Bussen warten, bis alle Urlauber aus 25 Maschinen eingesammelt sind, um dann weitere drei Stunden alle All-Inclusive-Hotels der Strandpromenaden abzuklappern, bis das eigene dabei ist. Dann werden schnell die Koffer aus dem Bus geworfen und der Jahresurlaub kann beginnen.
Ich bin die Königin von Mallorca
Kaum im Taxi ertönt "La Camisa Negra" aus dem Radio. Ich glaube, ich bin noch nie auf Mallorca in ein Taxi gestiegen, ohne dass dieser Song lief. Vermutlich gibt es einen Radiosender auf der Insel, der den ganzen Tag ausschliesslich diesen Song in Dauerschleife spielt, damit Taxifahrer deutsche Touristen mit einem bekannten Lied empfangen können.
Die fühlen sich dann gleich ein wenig zu Hause, weil ihre "Die grössten Hits der 90er und 2000er und das beste von heute"-Radiostationen, die sie daheim in Deutschland stets hören, um sich über die Witze der Morningshow-"Moderatoren" vor Lachen einzunässen, die es acht Wochen vorher bereits bei Twitter (jetzt X) zu lesen gab, den Song ebenfalls andauernd spielen. Irgendwann fangen sie dann an mitzusummen, und wenn sie später, noch euphorisiert von der Landung, die sie eifrig, schon kurz bevor das Fahrwerk überhaupt die Landebahn berührt hatte, beklatscht hatten, den Song als Erstes im Taxi hören, fühlen sie sich gleich ein bisschen spanischer und irgendwie heimisch. Eine Win-Win-Situation.
Spätestens am zweiten Abend geht es dann in die einschlägigen Partylokale, die für den durchschnittlichen Mallorca-Experten nach wie vor das Herzstück eines jeden Jahresurlaubs sind. Dann pendeln sie zwischen Mega Park, Bierkönig, Joy Palace und Krümls Stadl, je nachdem, wo mehr betrunkene Frauen (leicht zu haben) und bekannte VIP-Helden samt ihres Premium-Liedguts (leicht mitzusingen) zu erwarten sind.
Superstars, die man sonst nur aus heimischen Trash-TV-Formaten kennt: Mia Julia, Tim Toupet, Ikke Hüftgold, Jürgen Milski, Michael Müller, Schäfer Heinrich, Rick Arena oder die schon genannten Almklausi, Wackel und
Empfehlungen der Redaktion
Niemand, der sich tagsüber mit Bier zudröhnt, bis er nicht mehr stehen kann, deshalb betrunken auf einer Liege am All-Inclusive-Hotelpool einpennt und anschliessend mit einem Sonnenbrand aufwacht, der krebsfördernder ist als 30 Jahre 500 Gauloises am Tag, könnte sich jemals einen schöneren Urlaub vorstellen. Eine schönere Kolumne dagegen jederzeit. Am besten schon nächste Woche.
Wobei, mal unter uns: Es hat sich doch wohl eindeutig gelohnt, dass ich extra für diesen Text aus meiner Komfortzone ausgebrochen bin. Und mittendrin gelandet im deutschen Seelenurlaub. Im Promizirkus der echten deutschen Superhelden. Zwischen Bierdusche und Ballermann. Zwischen Pulitzer und Plastikpalme. Und vielleicht ist das ja die ehrlichste Form von Promikultur, die wir haben.