• Das Remis der deutschen Nationalmannschaft gegen Spanien könnte mehr als "nur" ein wichtiger Punktgewinn sein.
  • Die Mannschaft zeigte sich willensstark, widerstandsfähig und als Einheit.
  • Das macht Hoffnung für das abschliessende Spiel gegen Costa Rica.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ein "Finale" hatten alle Beteiligten angekündigt, ein Spiel mit Finalcharakter und auf Finalniveau sahen die fast 70.000 Zuschauer im Al-Bayt Stadium in Al-Khor. Die Partie der deutschen Nationalmannschaft gegen Spanien war die bisher beste der WM und brachte auf Seiten der Deutschen ein paar Eigenschaften zum Vorschein, die im Auftaktspiel gegen Japan noch schmerzlich vermisst wurden.

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Entschlossenheit und Einsatzbereitschaft waren zwei Schlüssel zum Teilerfolg gegen die leicht favorisierten Spanier und dazu noch eine dritte Zutat, die fast alle deutschen Spieler und auch ihr Trainer Hansi Flick nach der Partie unisono herausstellten: Der deutschen Mannschaft gelang es endlich einmal auch über fast 96 Minuten, eine gleichbleibend hohe Energie auf den Platz zu bringen.

Neben den rein taktischen Feinheiten und Veränderungen, die der Bundestrainer vornahm, waren es diese schwer messbaren, aber doch gut erkennbaren Faktoren, die dem deutschen Spiel mehr Leben einhauchten als noch in der lethargischen zweiten Halbzeit gegen Japan. Und die letztlich zu einem verdienten 1:1 führten, das der Mannschaft die Chance auf das Erreichen der K.o.-Runde lässt.

Flicks Plan geht auf

Mit kleinen personellen Anpassungen reagierte Flick auf die Niederlage im Auftaktspiel und auch darauf, dass sich nach der überraschenden Niederlage der Japaner wenige Stunden zuvor gegen Costa Rica eine neue Ausgangssituation ergeben hatte. Deutschland konnte auch bei einer Niederlage gegen die Spanier noch nicht ausscheiden, ein Punkt würde schon ziemlich weiterhelfen.

Flick versuchte es gegen die spanische Passmaschine mit einem 4-3-3 und zwei Sechsern im Mittelfeld, der körperlich sehr präsente Leon Goretzka erwies sich als gute Ergänzung zum eher strategischen Joshua Kimmich. Dass Ilkay Gündogan deshalb aber eine Linie nach vorn wanderte und auf der Zehn mit der Beschattung von Spaniens Ankerspieler Sergi Busquets betraut wurde, schränkte Gündogan ein wenig in seiner offensiven Schaffenskraft ein.

Deutschland versuchte es gegen die enorm ballsicheren Spanier mit einer Manndeckung übers gesamte Feld, war bei jedem Zuspiel sofort auf dem Sprung, presste energisch und mutig nach vorne und auf den Ball - ohne dabei zu vergessen, auch die Passlinien zu schliessen. Bis auf einen satten Schuss von Dani Olmo kamen die Spanier deshalb kaum einmal gefährlich vor das deutsche Tor.

Der gute Defensivplan ging allerdings auch ein wenig zu Lasten des Positionsspiels. Damit hatte die Mannschaft ein paar Probleme, musste den Ball für ihre Verhältnisse schnell wieder hergeben und kam kaum einmal strukturiert nach vorne. Die besten Gelegenheiten ergaben sich aus dem deutschen Pressing oder Gegenpressing und hohen Ballgewinnen.

Goretzkas ehrliche Worte

Das Spiel gegen den Ball war der Schlüssel und ungewöhnlich genug für eine Mannschaft, die sich grundsätzlich eher über ihre offensiven Stärken definiert. Aber: Die deutsche Mannschaft hielt sich bis auf die Phase beim Gegentor und in den paar Minuten danach strikt an ihren Plan. Und erinnerte sich offenbar auch in den schwierigen Momenten nach dem 0:1, als eine Kette kleinerer Fehler zum Gegentor führte, an die Notwendigkeit, weiter geschlossen aufzutreten.

"Ich hoffe, dass bei allen die Erkenntnis da ist, dass es nur so funktionieren kann - egal, was man für eine Qualität im Kader hat. Das muss die Erkenntnis sein vom heutigen Spiel", formulierte Goretzka ein paar ziemlich bemerkenswerte Sätze. Offenbar schien das noch im Japan-Spiel nicht der Fall zu sein, dass alle Spieler an einem Strang ziehen, anders sind Goretzkas ehrliche Worte kaum zu deuten.

Gegen Spanien waren jedenfalls alle da: die elf Spieler auf dem Platz, die Ergänzungsspieler, die gesamte deutsche Bank. Dass Hansi Flicks Einwechslungen diesmal ziemlich gut aufgingen - Niclas Füllkrug als Torschütze sei erwähnt, aber auch Leroy Sane, der dem Spiel mit seinen Dribblings und seiner Energie eine neue Richtung gab -, war ein weiterer elementarer Baustein zum Teilerfolg.

Den Schwung mitnehmen

Die deutsche Mannschaft hat sich widerstandsfähig gezeigt und nimmt - im besten Fall - nun den Schwung aus der Endphase der Partie mit. Der Spielverlauf, die Resilienz trotz des Rückstands gegen eine der besten Mannschaften der Welt, das Vertrauen in die Ergänzungsspieler und der neu entdeckte Teamgeist machen Hoffnung. "Die Mannschaft hat das gigantisch gemacht", sagte Flick vielleicht ein bisschen zu euphorisch.

Die immer noch schwachen Offensiv-Standards, die weiterhin bestehenden Probleme auf den defensiven Aussenbahnen, die kurzen, aber verhängnisvollen Unkonzentriertheiten: Daran gibt es schliesslich noch genug zu verbessern. Für die deutsche Mannschaft hat sich Gesamtkonstellation deutlich verbessert, auch wenn nach zwei Spieltagen nur ein Punkt und der letzte Platz in der Gruppe steht.

Nun hängt es auch am Ausgang der Partie der Spanier gegen Japan. Alles ausser einem japanischen Sieg bringt den Deutschen eine sehr realistische Chance auf das Achtelfinale. "Ihr müsst daran denken, selbst zu gewinnen - Costa Rica macht es gut. Und wir denken an Japan, das wird schwierig genug", sagte Spaniens Trainer Luis Enrique auf der Pressekonferenz.

Die deutsche Mannschaft benötigt in jedem Fall einen Sieg gegen die Nummer 31 der Welt, womöglich einen mit zwei Toren Unterschied. Das ist nicht nur machbar, sondern Pflicht: Schafft die Mannschaft das entsprechende Resultat gegen die bisher völlig enttäuschenden Ticos nicht, wäre ein Aufstieg in die K.o.-Runde auch nicht gerechtfertigt.

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In den Tagen bis zur letzten Partie gegen Costa Rica sollte sich jedenfalls die Erkenntnis durchsetzen, dass es diese deutsche Mannschaft doch noch kann, auch wenn sie mit dem Rücken zur Wand steht. Oder, wie es Kapitän Manuel Neuer formulierte: "Das Wichtigste ist: Wir sind noch am Leben!"

Verwendete Quellen:

  • zdf.de: "Stimmen und Analysen"
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