Die Bayern spielen gegen Atlético Madrid ihr bestes Spiel der Saison - und scheitern doch zum dritten Mal in Folge im Halbfinale der Champions League. Das Ausscheiden dürfte die Debatten um Pep Guardiolas Vermächtnis beim FC Bayern München erst so richtig befeuern.

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Wem immer noch nicht klar war, dass Fussball ein ganz grausames Spiel sein kann, dem wurden am Dienstag in der Allianz Arena womöglich für immer die Augen geöffnet. Die Bayern hatten vielleicht das beste Spiel unter Pep Guardiola absolviert, Atlético Madrid 95 Minuten lang unter Dauerbeschuss genommen.

Die Bayern haben gekratzt, gebissen, gerangelt, sie haben gepasst, gegrätscht, geschossen, gefeiert, gewollt, gehadert, gelitten. Blut, Schweiss und Tränen im ganz grossen Stil. Und am Ende sind sie raus. Wegen eines Auswärtstors, das unter Umständen auch wegen einer Abseitsstellung nicht hätte zählen dürfen.

"Die Bayern waren das beste Team, gegen das ich mit Atlético je gespielt habe", sagte danach Diego Simeone. Und der spielt in jeder Saison mindestens viermal gegen Real Madrid und den FC Barcelona.

Müller vergibt die Chance zur Wende

Der FC Bayern ist zum dritten Mal in Folge im Halbfinale der Champions League gescheitert. Das ist ein Faktum, so unumstösslich wie Atléticos Defensivbollwerk. Dieses Spiel hatte Sequenzen, die fatal an das brutale Finale dahoam vor fast genau vier Jahren gegen Chelsea erinnerten.

"Die Bayern waren in beiden Spielen zusammengenommen die bessere Mannschaft. Aber die Besseren gewinnen eben nicht immer", sagte Antoine Griezmann, dessen Treffer verantwortlich für das Aus der Bayern war.

Die Gewinner hatten kaum gejubelt, die Verlierer sich noch gar nicht geschüttelt, da gingen die Fragen schon in die vorhersehbare Richtung: Ist Pep Guardiola denn nun gescheitert bei den Bayern oder nicht?

Wohl bald drei souverän errungene Meisterschaften in Folge, unzählige neue Rekorde, ein Spielstil, der als Rollenmodell für ein ganzes Fussballland dienen könnte. Alles nichts?

Der FC Bayern München ist ein Weltklub und als solcher geradezu verpflichtet, in der Champions League zu reüssieren. "The winner takes it all", und der Gewinner wird auch in diesem Jahr nicht Bayern München heissen. Diese eine Kugel habe er noch im Lauf, hatte Guardiola in den Tagen vor dem Spiel erzählt.

Xabi Alonso hatte die furiosen Bayern bereits in Führung geschossen, als sich Thomas Müller den Ball zum Elfmeter zurechtlegte. Vor sieben Tagen war Müller 70 Minuten auf der Bank gesessen und wurde danach zum Streitfall der Nation. Weil Müller ja immer spielt.

Nun spielte Müller in München von Beginn an und hatte die Topchance, Guardiolas letzte Kugel ins Ziel zu schiessen. Aber Müller vergab die Chance zum 2:0, gegen eine Mannschaft, die zuletzt vor über einem Jahr mit zwei Toren Unterschied verloren hat.

Rummenigge kritisiert den Schiedsrichter

Dass in einem Spiel auf diesem Niveau Kleinigkeiten den Ausschlag geben würden, war wohl jedem klar. Müllers Fehlschuss fiel da zuerst aus der Reihe. Beim Gegentor entschied sich Jerome Boateng für ein ungestümes Attackieren und David Alaba für seinen stärkeren linken Fuss und nicht für den besser postierten rechten. Der Ball rutschte durch, und Griezmann traf.

"Auf dem Niveau darf man solche Fehler nicht machen. Bei mir fängt es an mit dem Pass zum Gegner. Ich will dann nach vorne gehen und versuchen, ein Foul zu spielen. Alonso geht auch nach vorne. Einer von uns hätte bleiben müssen", gestand Boateng.

Ansonsten wirkten Kingsley Coman und Douglas Costa mit der extremen Intensität der Partie etwas überfordert. Aber sonst? Gab es nichts auszusetzen am Spiel der Bayern, zumindest nicht an diesem Abend.

Karl-Heinz Rummenigge hatte wohl denselben Eindruck und schob die Schuldfrage Richtung des Unparteiischen. "Wir fühlen uns etwas betrogen von der Leistung des Schiedsrichters", sagte Rummenigge. "Das Tor war Abseits, das Foul vor Atléticos Elfmeter ein Meter ausserhalb."

Rummenigge mochte in der Sache damit Recht haben. Seine Worte kamen trotzdem rüber wie die eines schlechten Verlierers. Seine Spieler zeigten sich deutlich selbstkritischer.

Überragende Zahlen - kein Ertrag

"Es ist schwer zu akzeptieren, jetzt nicht im Finale zu stehen. Wir hatten viele Chancen, sie aber nicht gemacht. Atlético hat quasi mit ihrer einzigen Chance das Tor gemacht. Das tut sehr weh. Ich hoffe, das war das dritte und letzte Mal, dass wir im Halbfinale ausgeschieden sind", sagte ein sichtlich zerknirschter Robert Lewandowski. Sein Tor, eine Viertelstunde vor dem Ende, liess die Hoffnung noch einmal aufleben.

Die Bayern gaben 33 Torschüsse ab, 17 davon innerhalb des Strafraums. Allein Lewandowski (acht Mal) schoss öfter aufs Tor als Atléticos komplette Mannschaft (sieben Mal). Zwölf Eckbälle, 23 Flanken, über 70 Prozent Ballbesitz. Das sind tolle Zahlen - und doch so wertlos ohne den nötigen Ertrag.

Der Traum vom Finale ist zerplatzt. "Ich hätte gerne die Champions League mit den Bayern gewonnen. Dafür habe ich gekämpft. Ich habe mein Bestes getan, ich habe mein Leben gegeben für diese Mannschaft. Aber die Nummern sind die Nummer: Wir haben das Finale nicht erreicht", sagte Guardiola.

"Vielleicht schafft es Carlo"

Der Fussball sei eben so, dass der Bessere nicht zwangsläufig auch gewinne. "Meine Spiele haben trotzdem eine Wahnsinns-Champions-League gespielt." Niemand wird Guardiola da widersprechen wollen. Nur fehlt nun eben schon wieder die Krönung.

"Titel sind nur Nummern, Statistik", sagte Guardiola auf der Pressekonferenz nach dem Spiel. Er machte dabei einen sehr aufgeräumten, klaren Eindruck. Kein Zeichen von Bitterkeit oder Gram. "Ich habe es jetzt drei Jahre lang nicht geschafft, vielleicht schafft es Carlo."

Bis Carlo Ancelotti Anfang Juli seinen Dienst in München aufnehmen wird, dürfte noch viel geschrieben werden. Vor allen Dingen über Guardiola und dessen Erbe.

"Über meine Bilanz werden andere urteilen", sagte Guardiola. "Ich war sehr glücklich hier. Wenn ich den Spielern etwas hinterlassen konnte, dann bin ich zufrieden."

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