Das Final Four der Nations League sollte der Startschuss werden für eine lange und fulminante Vorbereitung auf die WM im kommenden Sommer. Nun steht Deutschland nach zwei Niederlagen in Serie gefühlt schon wieder vor einigen grossen Problemen und wird - wie schon einmal - auf den Bundestrainer hoffen müssen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Zwei Niederlagen in Folge hat die deutsche Nationalmannschaft im Spätherbst 2023 kassiert, die blamablen Auftritte gegen die Türkei und Österreich führten zu erhöhter Alarmstimmung und letztlich einem Richtungswechsel von Bundestrainer Julian Nagelsmann.

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Nun ist es nach den beiden Niederlagen gegen die deutlich höher einzuschätzenden Portugiesen und Franzosen zwar nicht so, dass schon wieder die Stimmung zu kippen droht - ernüchternd waren die Partien in der Nations League aber allemal.

Die erhoffte Initialzündung im Hinblick auf die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr ist ausgeblieben, stattdessen wurden alte Probleme offenbart und die Frage steht erneut im Raum, wie Deutschland die Lücke zur absoluten Weltspitze endlich wird wieder schliessen können?

Es fehlt an Qualität in der Spitze und Breite

Das Final Four der Nations League ist insofern ein recht eigenartiges Turnier, da man von Null auf Hundert sofort da sein muss und sich nicht - wie bei anderen Wettbewerben - zur Not auch ein bisschen eingrooven kann. Hier spielen die vier besten Teams Europas gegeneinander und das im K.o.-Modus, da bleibt keine Zeit für lange Findungsphasen und Fehler werden auf diesem Niveau sofort knallhart bestraft.

Letztlich setzen sich die Mannschaften mit der höheren individuellen Qualität durch und jene, die auch am Ende einer langen Saison noch Kraft, Energie und Willen genug haben für noch einen Titel. Deutschland war diese Mannschaft nicht und es sollte auch nicht verwundern, dass die DFB-Elf letztlich als Vierter und damit Letzter durchs Ziel ging.

Der personelle Aderlass vor dem Turnier war gross, Spieler wie die verletzten Antonio Rüdiger, Nico Schlotterbeck, Angelo Stiller, Jamal Musiala oder Kai Havertz waren nicht adäquat zu ersetzen. Die deutsche Mannschaft ist von Position eins bis 14 oder 15 definitiv wettbewerbsfähig, kann an einem guten Tag dann jede Mannschaft der Welt schlagen.

Jenseits davon sackt das Leistungsniveau aber so ab, dass zumindest gegen die Top-Nationen, deren Bänke 25 oder 30 Spieler auf höchstem Niveau vorsehen, das Siegen immer unwahrscheinlicher bleibt als eine Niederlage.

Deutschland hat einige Spitzenkönner von Weltklasseformat in seinen Reihen – wenn alle fit sind, reicht das für eine halbe Mannschaft. Andere Nationen können auf ein grösseres Reservoir zurückgreifen und müssen nicht etwa einen dieser Spieler positionsfremd aufstellen, wie es Deutschland bei Joshua Kimmich auf der rechten Aussenbahn macht.

Es fehlt die Breite in der Spitze und in der zweiten Garnitur, das haben die beiden Spiele in der Nations League schonungslos aufgezeigt. Gegen die Besten der Besten stossen zu viele Spieler an ihre ganz persönlichen Grenzen, sind die Defizite dann auch im Kollektiv nicht mehr aufzufangen. Die fehlende Effizienz gegen Frankreich war wie ein Paradebeispiel dafür.

Das ist eine unbequeme Wahrheit, die dann zum Vorschein kommt, wenn ein paar Spieler fehlen oder ihr Leistungspotenzial nicht ausschöpfen können. Dann hat der Bundestrainer wenig Handhabe und zu wenig nachzulegen - in das in allen Mannschaftsteilen.

Ist die Analyse zu weich?

Zwar schon verärgert und auch emotional, letztlich aber auch sehr verständnisvoll reagierte Nagelsmann auf die verlorene Partie gegen Frankreich. Natürlich waren sich alle Beobachter einig, dass die deutsche Mannschaft eine sehr starke Halbzeit gegen die Franzosen gespielt hatte und "zwei, drei Tore" hätte schiessen können in der Anfangsphase, wie Nagelsmann betonte.

Allerdings gehört zur Wahrheit auch, dass "die Franzosen gar keinen Bock hatten zu gewinnen", wie Kimmich es bei "RTL" formulierte. Und damit absolut richtig lag. Der Gegner machte es der deutschen Mannschaft 20, 25 Minuten lang sehr leicht, Kapital konnten die Gastgeber aus den vielen kleinen und grossen Geschenken aber nicht schlagen.

In diesem Kontext und nach dem enttäuschenden Auftritt gegen Portugal wenige Tage davor wäre etwas mehr Verve und Schärfe in den Analysen wohl nicht verkehrt gewesen. Abgesehen von Kimmich, der wie immer präzise und klar formulierte, traute sich aber kaum ein Spieler, wirklich harsche Töne anzuschlagen. Und auch der Bundestrainer hielt sich mit einer öffentlichen Kritik an seinen Spielern zurück.

Vermutlich werden die Spiele nach der Sommerpause gegen die schwächeren Gegner Slowakei und Nordirland im Rahmen der WM-Qualifikation wieder besser laufen und auch der eine oder andere Spieler dürfte dann wieder mithelfen können. Aber Stand jetzt, für ein Gros der Spieler direkt vor den Ferien und mit der Aussicht auf fast drei Monate ohne DFB-Lehrgang oder Vorbereitung, hätte man auch einen etwas höheren Anspruch formulieren dürfen…

Das "Problem" mit der Altersstruktur

Eine Randnotiz in Stuttgart war das erste Länderspiel für den baldigen Münchener Tom Bischof. Mit 19 Jahren sammelte Bischof bei seiner ersten Nominierung überhaupt seine ersten Spielminuten, was ein schönes Signal für die Zukunft sein könnte. Und ein sehr, sehr notwendiges.

Die Altersstruktur des Nations-League-Kaders jedenfalls deutete keine Aufbruchstimmung an, sondern suggerierte eher das Festhalten an alten Mustern und wohlverdienten Spielern. Mit 27,8 Jahren stellte Deutschland die älteste Mannschaft des Final-Four-Turniers, acht Spieler sind 30 Jahre oder älter und lediglich Bischof noch ein Teenager.

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Und auch zwischen dem Alterspräsidenten Oliver Baumann (35) und eben Bischof mit seinen 19 Jahren tummelten sich sehr viele Spieler rund um die 30er-Marke – und das, obwohl im letzten Sommer nach der EM ja schon die Granden Manuel Neuer, Ilkay Gündogan, Toni Kroos und Thomas Müller ihren Abschied vollzogen hatten.

Die Nationalmannschaft bietet offenbar immer noch ein paar zu vielen Spielern Platz, deren Zenit eigentlich schon überschritten ist. Das lag unter anderem auch an den vielen verletzungsbedingten Absagen, liegt aber grundsätzlich auch daran, dass nicht genug Spieler nachrücken. Solange die nötige Qualität stimmt, ist gegen eine ältere - oder positiver formuliert: erfahrene - Mannschaft nichts einzuwenden.

Zukunftsgewandt ist das aber nicht, und früher oder später wird das in der Regel zu einem veritablen Problem. Die Malaise ist nicht neu, dagegen anzukämpfen, dürfte aber noch ein paar Jahre dauern. Zwar rücken immer wieder neue Talente nach, aber auch hier fehlt es an der nötigen Breite und auch am Mut der Bundesliga-Klubs, diesen Spielern früher die dringend notwendigen Spielminuten zu geben.

Lamine Yamal mag ein Extrembeispiel sein und doch stehen seine Zahlen stellvertretend für eine andere Kultur in anderen Ländern: Yamal hat bereits über 100 Pflichtspiele für den FC Barcelona absolviert und 21 Länderspiele. Das alles mit 17 Jahren.

In Spanien, aber auch in Frankreich oder England hat die Trendwende schon vor einigen Jahren eingesetzt, die Ergebnisse lassen sich in den A-Nationalmannschaften und in den U-21-Teams sehen: Da laufen Spieler auf, die in ihren Ligen zum Teil schon mit 15, 16 Jahren eingesetzt wurden und nun eine Wettkampfhärte mitbringen, die deutschen Spielern im selben Jahre fast immer abgeht.

Das Problem wird den DFB auch über die WM im kommenden Jahr hinaus noch treu begleiten und wahrscheinlich wird es in Nordamerika dann auch so sein, dass Deutschland eher eine der älteren Mannschaften des Turniers stellen wird.

Nagelsmann muss es richten

Der Bundestrainer kann sich nur aus dem vorhandenen Pool an Spielern bedienen und es dürfte in rund zwölf Monaten ein knappes halbes Dutzend Mannschaften geben, die in der Spitze und in der Breite besser aufgestellt sind als die deutsche Auswahl. Den Heimvorteil wie bei der EM im vergangenen Sommer wird es auch nicht geben. Also rückt automatisch der Cheftrainer samt Staff in den Fokus.

Von der (logistischen) Planung über die entsprechenden Konzepte und inhaltlichen Ideen wird Nagelsmann die Lücken kompensieren müssen, will Deutschland nicht nur gegen die Top-Nationen reüssieren - das zeigen die völlig missratenen Turniere unmittelbar vor der Heim-EM.

Nicht zuletzt waren es oft genug auch deutsche Mannschaften, die bei grossen Turnieren die Schwächen des Kaders auf anderen Feldern ausbügeln konnten - weil sie besser organisiert waren, einen besseren Plan hatten, eine Turnierdynamik erzeugen konnten oder schlicht auch das nötige Glück hatten.

Julian Nagelsmann bringt sowohl genug Expertise als auch Emotionalität mit, um (s)eine Mannschaft für vier, fünf oder sechs Wochen anzuzünden, der Bundestrainer ist so etwas wie der heimliche Hoffnungsträger für die WM im kommenden Jahr. Wenn er die richtige Balance findet zwischen Mut und Pragmatismus.

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