Die deutsche Nationalmannschaft wendet gegen Nordirland den Totalschaden ab. Und dennoch nähren die Auftritte beim Start ins WM-Jahr die Zweifel an der Tauglichkeit der Mannschaft. Bundestrainer Julian Nagelsmann muss wieder Lösungen finden – und hofft dabei auf einige Rückkehrer.
Der Rahmen war gesetzt im Müngersdorfer Stadion in Köln: Die Verabschiedung von
Aber, und das ist der etwas bedenkliche Teil der Geschichte: Das Stadion in Köln war nicht voll besetzt. Teile der Fans protestierten gegen die zu hohen Ticketpreise, was ein Grund für den Schwund sein könnte. Vor allen Dingen aber dürfte die Lust auf die Nationalmannschaft in diesen Tagen nicht besonders gross gewesen sein nach den letzten, enttäuschenden Auftritten.
Und auch das Zutrauen in die Leistungsfähigkeit dieser Mannschaft hat spätestens nach dem desaströsen 0:2 von Bratislava am vergangenen Donnerstag massiv gelitten. So war die Kulisse auch ein wenig Sinnbild dessen, wie es um die deutsche Auswahl bestellt ist: Man würde ja gerne wieder Fussball-Feste feiern – aber so richtig will das derzeit einfach nicht klappen.
Probleme in vielen Spielphasen
Immerhin hat
Nur war es auch gegen die allenfalls zweitklassigen Nordiren so, dass die deutsche Mannschaft in Teilen der Partie einige erhebliche Probleme offenbarte: Nordirland attackierte früh und aggressiv, mit dem beherzten Pressing der Gäste hatte Nagelsmanns Mannschaft erhebliche Mühe. Und wenn die Nationalmannschaft den Gegner dann mal tief in dessen Hälfte einschnüren konnte, fehlten die entsprechenden Abläufe und Ideen, um diesen tiefen Block aufzuspielen und zu Torchancen zu kommen.
Wenig überraschend gelang die frühe Führung durch
Die Basics als Errungenschaft verkauft
Immerhin stimmten im zweiten Qualifikationsspiel einige der Grundtugenden: Fokus und Konzentration, Leistungsbereitschaft und Willen. Besonders gut dokumentiert wurden die von Spielern aus der zweiten Reihe: Dem Stuttgarter Jamie Leweling und den beiden eingewechselten
"Ich war heiss", sagte Amiri nach dem Spiel bei "RTL". "Ich habe mich auf der Bank schon in die Situation hineingedacht. Ich war sehr, sehr motiviert heute." Was auf der einen Seite lobenswert ist. Andererseits: Wenn eine ordentliche Portion Emotionalität, Hunger und Gier nun gegen einen Gegner wie Nordirland schon derart erwähnenswert sind, ist ganz offensichtlich noch jede Menge Arbeit zu tun.
Eigentlich sollten diese viel zitierten Basics eine Selbstverständlichkeit sein, nach dem Sieg gegen die Nummer 71 der Fifa-Weltrangliste wurden sie fast wie eine neue Errungenschaft gepriesen.
Bundestrainer lenkt bewusst die Debatten
Das Thema Mentalität hatte der Bundestrainer wenige Tage zuvor sehr bewusst auf die Agenda gesetzt. Nagelsmann war nach der Blamage gegen die Slowakei einerseits zu Recht nicht zufrieden mit der laschen Arbeitseinstellung seiner Mannschaft. Er wählte aber ganz bewusst auch dieses schwer greif- und messbare Thema aus, um den Fokus der öffentlichen Debatten ein wenig abzulenken von den teilweise gravierenden inhaltlichen Problemen seiner Mannschaft.
Mal wieder steckte Nagelsmann in Bratislava Spieler in für sie ungewohnte Rollen: Leon Goretzka auf die Zehn, Maxi Mittelstädt auf den Posten des Rechtsverteidigers, Gnabry auf den rechten Flügel und
Das sind keine Fehlurteile des Bundestrainers, aber so richtig passend war die Wahl der Mittel eben auch nicht. Und wenn dann wie gegen den krassen Aussenseiter Slowakei auch die Manndeckung nicht funktioniert, läuft eine Partie schnell mal aus dem Ruder. Dann fehlt es nicht nur an einer klaren Struktur auf dem Platz, sondern auch an der dringend benötigen Führung.
Auch gegen die Nordiren war das wieder streckenweise so, dass sich die Mannschaft von einem Rückschlag in Form eines Gegentores beeindrucken liess. Zwar nicht in Form eines kompletten Kontrollverlusts, aber doch merklich angeschlagen nach dem 1:1. "Wir sind gut reingekommen, waren dann nach dem Gegentreffer aber verunsichert, das ist in der Lage auch menschlich. In der Halbzeit war sogar leicht geknickte Stimmung. Ich habe dann gesagt, dass wir nur ein Gegentor bekommen haben und die Welt davon nicht untergeht", erzählte Nagelsmann später.
So hebelte Nagelsmann die Nordiren aus
Der Bundestrainer fand dann selbst ein Mittel, um die müder werdenden Nordiren Mitte der zweiten Halbzeit auszuhebeln: Mit Beier und dessen Läufen in den Rücken der gegnerischen Innenverteidiger hatte Deutschland endlich die dringend benötigte Tiefe im Spiel – eine Qualität, die Woltemade der Mannschaft nicht geben konnte.
Woltemade hat den Ball lieber in den Fuss, konnte Zuspiele aber kaum einmal festmachen und wurde deshalb bei seiner Auswechslung mit Pfiffen bedacht, wie es sie schon zur Halbzeit lautstark gegeben hatte. Eine Reaktion der Fans, die der Bundestrainer nur halb verstehen kann.
"Da muss man Verständnis haben, so ein Ticket kostet ja auch ein bisschen was. Trotzdem: Pfiffe in der Halbzeit bringen nicht allzu viel. Wir wollen ja Zusammenhalt. Das ist etwas, das wir in unserem Land noch begreifen müssen: Wenn man etwas zusammen macht, dann klappt es meistens auch."
Hoffnung ruht auf einigen Stammspielern
Nagelsmann wird schon in wenigen Wochen wieder Gelegenheit haben, seine Mannschaft auf dem Weg zur (möglichen) WM-Endrunde zu verbessern. Anfang Oktober stehen die nächsten Länderspiele an, dann vielleicht auch mit dem einen oder anderen wichtigen Stammspieler mehr in seinem Kader. Nico Schlotterbeck könnte der wackeligen Abwehr Halt geben, der notorisch unterschätzte Kai Havertz ist ein zentrales Puzzlestück in der Offensive, irgendwann werden auch Marc-André ter Stegen und Jamal Musiala wieder zurückkehren.
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Spieler dieser Qualität sind auch dringend nötig, wenn die deutsche Mannschaft wirklich gegen die ganz Grossen bestehen will. Denn bei allem Respekt vor der Slowakei oder Nordirland: Von der Weltspitze sind diese Gegner meilenweit entfernt. Und Deutschland aktuell eben auch.
Auch das ist eine Erkenntnis nach dem Start ins WM-Jahr. Noch sind ein paar Monate und einige Spiele Zeit, sich wieder zu finden. Die Zweifel sind nach den ersten beiden Partien aber ganz bestimmt nicht kleiner geworden.